Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an den Hauptmann von Hoven

Stutgardt den 15. Jun. [Donnerstag] 1780.

Wohlgeborner Herr,
        Hochzuverehrender Herr Hauptmann.

Endlich bin ich von der heftigen Bestürzung über den traurigen Abschied meines theuresten Freunds wieder zu mir selbst gekommen, und wage es mein gepreßtes Herz durch Worte zu erleichtern. Gegen wen sollt ich dieses nun sonst thun als gegen den Vater eines unschäzbaren Sohns, als gegen Sie, der Sie mich am besten verstehen. Ich will Sie nicht mit kahlen, frostigen Tröstungen betrüben, die nur allzusehr ein kaltes fühlloses Herz verrathen, nein, ich will mit ihnen über den verlohrenen Edeln weinen, den sein Verlust ist unersezlich und für Trostgründe zu groß. Hören Sie es also nocheinmal aus dem Munde eines fühlenden Freundes, was Ihnen Ihr väterliches Herz schon tausendmal wird gestanden haben: – Sie verloren einen werthen liebenswürdigen Sohn1, einen Jüngling, aus dessen lebhafter GeistesKraft künftige Größe und Bewunderung geahndet wurde, einen Jüngling, deß empfindungsvolles, zärtliches Herz Ihm die Liebe aller Menschen erwarb, und izo durch das Allgemeine Trauren Derer die Ihn kannten auf das vollkommenste gerechtfertigt wird, einen Jüngling voll der schönsten Hoffnungen, der schmeichelhaftesten Aussichten, und der es werth war der Stolz seines Vaters zu seyn, und der würdigste war unter uns allen länger und glüklicher zu leben. Alles diß würden Seine erbittertsten Feinde gestehen müßen – (er hatte keinen einzigen) – aber was bleibt nun Seinen Freunden noch übrig? was bleibt mir noch übrig?

Ja, ich kann es fühlen, was es heißt seine schönsten Hoffnungen, die Freuden seines Lebens in einem Sarge dahintragen sehen, ich wie daß die Klagen eines untröstlichen Vaters gerecht sind, – und wies daß die Klagen des Vaters zu Dem ich izt rede, zehnfach gerechter sind als aller andrer – denn ich empfind es, wie schwer es schon meinem eigenen zärtlichen Vater würde gefallen seyn, wenn dieser Schlag mich getroffen hätte, da ich doch in keinem Stük auf den Werth Ihres lieben Sohns Anspruch machen darf.

Aber haben Sie Ihren Sohn denn verloren? – verloren? – War er glüklich, und ist es izt nicht mehr? Ist er zu bedauern, oder nicht vielmehr zu beneiden? Ich mache zwar diese Fragen einem geschlagenen Vater, deßen Seelenleiden ich freilich niemals nachempfinden kann, aber ich mache sie auch einem Weisen, einem Christen, der es weiß, daß ein Gott Leben und Tod verhängt, und ein ewig weiser Rathschluß über uns waltet. Was verlor Er das Ihm nicht dann unendlich ersetzt wird? Was verließ Er, das Er nicht dort freudig wieder finden, ewig wieder behalten wird? – Und starb Er nicht in der reinsten Unschuld des Herzens mit voller Fülle jugendlicher Kraft zur Ewigkeit ausgerüstet, eh Er noch den Wechsel der Dinge, den bestandlosen Tand der Welt beweinen durfte, wo so viele Plane scheitern, so schöne Freuden verwelken, so viele so viele Hoffnungen vereitelt werden?

Das Buch der Weißheit sagt vom frühen Tod des Gerechten: „Seine Seele gefiel Gott, darum eilet er mit Ihm aus dem bösen Leben. Er ist bald vollkommen worden und hat viele Jahre erfüllt. Er ward hingerükt, daß die Bosheit seinen Verstand nicht verkehre, noch falsche Lehre Seine Seele betrüge.“ – So ging Ihr Sohn zu dem zurük, von dem Er gekommen ist, so kam er früher und reinbehalten dahin, wohin wir später aber auch schwerer beladen mit Vergehungen gelangen. Er verlor nichts und gewann alles.

Bester Vater meines geliebten Freunds, das sind nicht auswendig gelernte Gemeinsprüche, die ich Ihnen hier vorlege, es ist eigenes wahres Gefühl meines Herzens, das ich aus einer traurigen Erfahrung schöpfen mußte; tausendmal beneidete ich Ihren Sohn wie er mit dem Tode rang, und ich würde mein Leben mit eben der Ruhe statt seiner hingegeben haben, mit welcher ich schlafen gehe. Ich bin noch nicht ein und zwanzig Jahr alt aber ich darf es Ihnen frei sagen, die Welt hat keinen Reiz für mich mehr, ich freue mich nicht auf die Welt, und jener Tag meines Abschieds aus der Akademie2, der mir vor wenig Jahren ein freudenvoller Festtag würde gewesen seyn, wird mir einmal kein frohes Lächeln abgewinnen können. Mit jedem Schritt den ich an Jahren gewinne, verlier ich imer mehr von meiner Zufriedenheit, je mehr ich mich dem reifern Alter nähere, desto mehr wünscht ich als Kind gestorben zu seyn. Wäre meine Leben mein eigen, so würde ich nach dem Tod Ihres Theuren Sohnes geizig seyn, so aber gehört es einer Mutter, und dreien ohne mich hilflosen Schwestern, den ich bin der einzige Sohn, und mein Vater fängt an graue Haare zu bekommen. –

Aber nun Sie? – Sind Sie nicht ein glüklicher Vater? Sie verloren einen Sohn, der Ihnen Theuer war, aber schon freut sich ein zweiter, die doppelte süße Pflicht zu tragen, und dieser allein war es auch würdig, die Stelle des Entrißenen zu ersezen. Er fühlt was er Ihnen schuldig ist, er strengt alle Kräfte seines Geists auf diesen einzigen Zwek an, und wird Ihnen zehenmal mehr leisten als ich meinem Vater jemals versprechen kann. Weinen Sie über den Verlust des würdigsten Jünglings, weinen Sie, denn er ist alles werth, – doch vergeßen Sie niemals, daß Ihr anderer Sohn, ich darf kek sagen Ihr großer Sohn, dardurch beleidigt werden muß, wenn Sie Ihre Hoffnungen mit jenem im Grabe verscharren.

Und nun verzeihen Sie mir wenn ich mich anmaßte einen Vater zu trösten, da ich selbst noch ein unerfahrener Jüngling bin. Ich weis, daß Sie Fülle des Trostes aus Ihrem eigenen vortrefflich Herzen und aus der Religion schöpfen können, und was ich hier sagte, war mehr zu meiner eigenen Beruhigung, denn ich verlor in Ihm einen herrlichen Freund. Aber es gibt ja eine Welt, wo die Getrennten sich wieder vereinen, dort werden Sie ihren Sohn als einen verklärten Engel wiederum umarmen, dort wird ich Freudentränen weinen am Halse meines theuren werthen Freundes. Stets soll mir Sein Andenken heilig seyn, und jede Spur von ihm eine Reliquie. Könnt ich Ihnen in mir einen zweiten Sohn, könnt ich Ihrem ältern Sohn3 einen Bruder schenken, so wollt ich stolz auf mich selbst seyn. Aber es soll mehr an meinen Kräften, nimmermehr aber an meinem Willen fehlen. Ich empfehle mich Ihnen und Ihrem ganzen Hauße in ewige Gewogenheit und Freundschaft und wünschte nichts mehr als mich nennen zu dürfen

Wohlgebohrner Herr

Hochzuverehrender Herr Hauptmann
Dero gehorsamster Sohn          
J. C. Fr. Schiller.