Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an den Oberst von Seeger

Unterthänigster
Bericht
von dem Befinden des Eleven Grammonts.

am 16. Julij. – [Sonntag] 80.

Dieser Tag war an traurigen Auftriten bei unserem Patienten besonders merkwürdig. Vormittags als ich bei ihm war, schien er noch ziemlich erträglich, sprach gern, und wurde wirklich etwas munter, bis er gegen Mittag Kopfweh und Übligkeiten klagte, welches aber wahrscheinlicher weise nur die Wirkung des genommenen Brechweinsteins war. Von da an war er auch unruhiger und hängte seinen schwermüthigen Schwärmereyen heftiger nach. Er hatte kein Frühstück zu sich genommen, aß auch diesen Mittag nichts, und verfiel endlich aus Mattigkeit in einen Schlaf, worin Seine Herzogliche Durchlaucht3 ihn selbsten überraschten.

Auf die Unterredung, welche Höchstdieselben mit ihm zu halten, die Gnade hatten beharrte er immer noch auf dem Gedanken, „daß er schlechterdings nicht in der Academie genesen könnte. Alles sei ihm hier zuwider. Alles zu einförmig um ihn zu zerstreuen. Alles weke seine Melancholie nur desto heftiger.“ Unsere eifrigsten Einredungen waren vergeblich. Ich gab ihm zu bedenken, wie er nirgends keine Außicht in der Welt hätte, da er nicht ausstudirt, da er ohnehin noch einen siechen Körper hätte, da ihm alle Mittel fehlten – wie es ihn vielleicht auf das schwerste gereuen würde, und dergleichen mehr. Er antwortete: „als Taglöhner und Bettler würde er immer vergnügter seyn als hier, weil er da frei sey. Gott erhalte ja den Sperling auf dem Dach. Er werde auch ihn nicht verhungern lassen, und wenn ihm auch diese Erwartung fehlschlagen sollte, worauf er das gröste Vertrauen sezte, so sei ihm doch noch immer der Tod übrig.“

An den Schönheiten der Natur schien er sich gestrigen Abend etwas aufzuheitern, aber sie wirkten bald die alte Melancholie in ihm wieder, indem er sich beklagte, daß er diese Schönheiten nicht außerhalb der Academie genießen dörfte. Das ist noch das schlimmste, daß er sogar das Vergnügen nicht lange genießen kann, ohne körperliche Schmerzen zu empfinden, um in desto tiefere Schwermuth zu versinken.

Auf vieles fruchtloses Zureden versprach er endlich sich noch so lang zu gedulden, bis er auch das Teinacher Bad4 noch versucht hätte. Aber wenn ihn auch dieses Mittel betriegen sollte, so wüßte er in der Academie kein einziges mehr. Er bittet aber unterthänigst, daß er es doch ja bald versuchen dürfte, eh es vielleicht zu spät würde, da seine Melancholie mit jedem Tag seines Auffenthalts allhier zunähme.

Hiebei kann ich nicht verschweigen, wie sehr die außerordentlich große Gnade und Gelindigkeit Seiner Herzoglichen Durchlaucht ihn gerührt hat. Er erkannte es mit dem innigsten Dank, wie väterlich Höchstdieselbe um die Hebung seiner Beschwerden bekümmert sind, und auch dieses ist ein großer Zuwachs zu seiner Melancholie, daß er diese unaussprechlich gütige Fürsorge und Geduld nicht, wie er gern wünscht mit Gehorsam belohnen kann, daß sie (wie er glaubt) an ihm fruchtlos sei, und daß er nothwendig für den undankbarsten unter der Sonne gehalten werden müßte, wenn ihm nicht seine Schwermuth und körperliche Schmerzen zur Entschuldigung dienen.

Eleve Schiller.