Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Henriette von Wolzogen

Bb. d. 27ten März [Donnerstag] 83.

Die guten Nachrichten, theuerste Freundin, welche Sie mir von der Besserung meiner liebsten Mutter, vom Ihrem und der Ihrigen Wohl und Ihres Wilhelms Erlösung gegeben, waren mir so erfreulich, als mir eine andre verdrüßlich war. Sie schreiben mir, daß sich ein gewiser Herr nicht abhalten lasse, mit Ihnen nach M. zu kommen. Die Gleichgültigkeit womit Sie diesen Umstand berühren, sezte mich in die äuserste Befremdung, und in die unangenehme Nothwendigkeit, Ihnen meine Besorgnisse wegen diesem Punkt umständlich mitzutheilen, welche ich Sie recht sehr zu beherzigen bitte.

Der Fall ist dieser. Wenn sich Herr v. W.1 wirklich mit Ihnen in M. einfinden sollte, so ist es durchaus unmöglich, daß ich Ihre Ankunft erwarten kann. Laßen Sie Sich diese Nachricht nicht bestürzen liebste Freundin, und gönnen Sie mir ein ruhiges Gehör. Ganz M. weis, daß sich ein Wirtemberger in Bb. aufhält – daß dieser ein sehr guter Freund von Ihnen ist – und daß er sich mit Schriften beschäftigt. Ganz M. vermutet, daß dieser Ritter nicht der ist, vor den er sich ausgibt – daß er vielleicht Verdruß in seinem Vaterland gehabt hat, und darum seinen Namen verschweigen mus. Man war schon lange begierig diesem verkappten Ritter auf die Spur zu kommen, man hat sogar, wegen einiger Äußerungen des vorigen Herzogs2 auf den Wahren gerathen. Nehmen Sie nun diß alles zusammen, und laßen Sie besagten Herrn nach M. kommen. Wird man nicht diese erste Gelegenheit ergreifen, nach mir zu forschen? Zweifeln Sie daß H. v. W., wenn ihm alle jene Umstände, mit meinem Exterieur verbunden, gesagt werden, den Augenblik auf mich fallen werde? Ich gebe es Ihnen zu bedenken, ob eine Person, die so wie jener Herr, von unserer beiderseitiger Freundschaft, meinen Verhältnißen zu meinem Vaterland, und meinem ganzen Thun und Laßen unterrichtet ist, die mehr als Tausend andere neugierig ist, und vorzüglich neugierig auf meine Schiksale ist, ob eine solche Person bei der ausgestreuten Erdichtung stehen bleiben werde? – Ob Sie selbst Gewalt genug über Sich haben, das Gegentheil gegen seine zudringliche Fragen mit unveränderter Stirne zu behaupten? – Ob er der Mann ist, der in das Geheimnis der Sache gezogen werden darf? Ich erkläre Ihnen entschlossen und offenherzig, daß ich das leztere niemalen zugeben werde. Ich will ihm durchaus nichts von seinem Werthe benehmen, denn er hat wirklich einige schäzbare Seiten – aber mein Freund wird er nicht mehr, oder gewise 2 Personen müßten mir gleichgültig werden, die mir so theuer als mein Leben sind. Weil ich also eine Entdekung auf dieser Seite unmöglich Gefahrlaufen kann, so mus ich einen Schritt thun, der mir von allen meines Lebens der schmerzlichste ist – Ich mus Sie verlaßen. Ich mus Sie zum leztenmale gesehen haben. Es kostet mich viel, es Ihnen zu sagen. ich will nicht bergen daß ich dadurch manche schöne herrliche Hoffnung aufgeben mus, daß es vielleicht einen Riß in meinem ganzen künftigen Schiksal zurükläßt, aber die Beruhigung meiner Ehre gehet vor, und mein Stolz hat meiner Tugend schon so viel Dienste gethan, daß ich ihm auch eine Tugend preißgeben mus3.

Überlegen Sie theure Freundin ob die Sache noch zurükgetrieben werden kann, oder vielmehr ob Sie es wünschten zurükzutreiben. Es wäre eine unverzeiliche Eitelkeit von mir wenn ich verlangen wollte, daß Sie um meinetwillen einen Menschen, der sich durch Bande der Verwandschaft und Liebe an Sie attaschiert hat, der Sie auch wirklich zuschäzen weis, wegstoßen sollten. Nein es wäre ein höchst ungerechtes Zumuthen, wenn ich praetendierte, daß Sie mir, der kein Verdienst um Sie hat als Freundschaft, eine Person aufopfern sollten, die keinen Fehler hat als daß ich sie nicht liebe. Ich würde Ihre und Ihrer guten Lotte Ankunft in Bb. nicht ertragen können, wenn mir einfiele, daß ich Sie eines Freundes beraubte. Ich bliebe Ihnen immer, und unter allen zufällen, aber dieser könnte Ursache finden ein Mistrauen in Sie zu sezen, wenn Sie ihn bei dieser Gelegenheit vernachläßigten. Also überlegen Sie es recht beste Freundin, denn wenn Sie auch in mir denjenigen nicht finden sollten, den Sie suchten, wenn ich gewahr würde, daß Sie es bereuten, mir zu lieb soviel aufgeopfert zu haben, so wäre es um meine Ruhe geschehen. Ist der Fall unvermeidlich, so bitte ich Sie innständig, es mir bei Zeit zu wissen zu thun, daß ich mich in Betracht meiner Baarschaft darnach richten kann. An dieses leztere dörfen Sie Sich nicht stoßen Freundin. Die Mannheimer verfolgen mich mit Anträgen um mein neues ungedruktes Stük, und Dalberg hat mir auf eine verbindliche Art über seien Untreue Entschuldigung gethan. Ich kann also zu Ausgang des Mays soviel baar Geld zusammenbringen daß ich nach Berlin reisen und einiges Geräthe anschaffen kann. Dort werde ich bald Auskommen finden, und Addressen bekomme ich in Menge dahin. Hungerssterben werd ich zuverlässig nicht, und das Bewußtseyn Ihre Ruhe befördert zu haben, wird mich auch glüklich machen. Also seien Sie über diesen Punkt gar nicht in Sorgen, und handeln Sie ganz frei. Können sie es aber ohne Ihren und eines Menschen Nachtheil dahinbringen, daß ich bleiben kann, so machen Sie niemand grösere Freude als mir. Wollen Sie Selbst, daß Sie die Gesellschaft dieses Herrn verlieren, so streuen Sie aus daß Sie in 5-6 Monaten wieder nach S. kommen, und ihn dann nebst Wilhelm mitnehmen wollen. Was Sie thun meine Beste, schonen Sie Sich und meinen Stolz.

Nunmehr leben Sie wohl. 10,000,000 Grüße an die lieben Meinige, an Ihre Lotte und Wilhelm.

Ewig Ihr Freund

R.

p. p. Antworten Sie mir mit dem bäldisten! – Hier ist alles in gutem Stand, außer daß der alte Flurschüz Kegel gestorben, und unser junger Pfarrer sehr krank ist.

[Adresse:]
              An
die Frau Baronin von Wolzogen, bei
        Herrn Oberforstmeister v. Marschalk
                                                zu
                                                        Urach
                                            im Wirtembergischen.
        pressant.
  frei bis Nürnberg.