Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Henriette von Wolzogen

Freitag Abend am 30. Mai [Freitag] 83.

Zwei Tage mus ich also noch durchwaten, ehe ich Sie sehe? Das ist schröklich. Kaum freu ich mich ein wenig, daß der heutige sich beurlaubt, und nun stehen mir noch acht und vierzig Stunden bevor. Wär es nicht Ihrer Lotte zum Besten, und wüßte ich nicht, daß Ihre Gegenwart diese eben so glüklich macht als mich – eben so, sag ich, nicht glüklicher – glauben Sie mir ich würde melankolisch oder ich trozte.

Ach meine Beste – in einer gepreßten Lage haben Sie mich verlaßen. Nie war ich Ihrer liebevollen Ermunterung so bedürftig als eben jetzt, und weit und breit ist niemand, der meiner zerstörten wilden Phantasie zu Hilfe käme. Was werd ich, was kann ich zu meiner Zerstreuung thun? Ich weis nichts, als Ihnen zu schrieben, aber ich fürchte mich selber in meinen Briefen. Entweder red ich darin zu wenig, oder mehr als Sie hören solten und ich verantworten kann. Sehr gern schrieb ich an Ihre Lotte, aber ich scheue das Schiksal meines vorigen Briefs, und solche Briefe, als die Amtmännin lesen darf, mus mich ein anderer schreiben lehren.

Gottlob, daß indessen die H. v. G. so kurz mit Ihnen angebunden. Wäre sie doch recht sehr grob. Ich wolte Gott danken für Ihre Lotte, denn auf diese Art würden Sie, meine Freundin, ein übriges thun. Es bleibt dabei, ich schreibe eine Tragödie mehr, sobald die H. ihre Pension zurüknimmt, und die Lotte soll die praenumerazion davon haben.

Daß Ihnen das Hofleben ekelhaft vorkommt, hör ich sehr gerne, aber es ist darum noch kein Kompliment für mich, daß Sie sich aus demselbigen weg und nach Bauerbach sehnen. Man dürfte mich zwischen Spandau und einer „Assemblée“ wälen lassen. Ich wüßte wol, was geschähe; doch das bedeutet nicht viel, was allenfalls in meinem Kopf geschähe.

Sie schreiben: „ich sei erkannt,“ und schreiben das so gelaßen weg. Lieber hätt ich ein Aug verloren, als dass mich die Meininger kennen. Wüßte ich Den, der mir diesen Dienst gethan hat, ich würde ihn hassen und wär er mein erster Freund. Helfen Sie mir doch ihn zu ergründen. Der Umstand verändert meinen Plan um ein Großes. Bin ich wirklich entdekt, so kann ich nicht mehr inkognito bleiben oder ich mache mich lächerlich. Ich mus unter meinem Namen in Gesellschaften gehen, und den Dumköpfen die so hoch aufgelauscht haben, Impertinenzien sagen. Es ligt mir an dem Respekt, der meinem Namen gebührt, und diesen mus ich notwendig behaubten.

Doch ich bin wohl ein Thor. Jetzt ligt mir auch an diesem nichts mehr. Es war eine Zeit, wo mich die Hofnung eines unsterblichen Ruhmes so gut, als eine Galanterie ein Frauenzimmer gekizelt hat. Jetzt gilt mir alles gleich, und ich schenke Ihnen meinen Dichterischen Lorbeer in die nächste Boeuf à la Mode, und trete Ihnen meine tragische Muse zu einer Stallmagd ab, wenn Sie Sich Vieh halten. Wie klein ist doch die höchste Gröse eines Dichters gegen den Gedanken glüklich zu leben. Ich möchte mit meiner Leonore sprechen:

„Lass uns fliehen – Lass in den Staub uns werfen all diese pralende Nichts. Lass in romantischen Fluren ganz der Freundschaft uns leben. Unsere Seelen, klar, wie über uns das heitere Himmelblau, nehmen dann den schwarzen Hauch des Grams nicht mehr an. Unser Leben rinnt dann melodisch wie die flötende Quelle zum Schöpfer.“

Mit meinem vormaligen Planen ist es aus Beste Freundin, und weh mir, wenn das auch von meinen jezigen gelten soll. Dass ich bei Ihnen bleibe und wo möglich begraben werde, versteht sich. Ich werde es auch wol bleiben laßen, mich von Ihnen zu trennen, da mir drei Tage schon unerträglich sind. Nur das ist die frage wie ich bei Ihnen auf die Dauer meine Glükseligkeit gründen kann. Aber gründen will ich sie, oder nicht leben, und jezt vergleiche ich mein Herz und meine Kraft mit der ungeheuersten Hinderniß, und ich weis es, ich überwinde sie.

Ich überlese was ich geschrieben habe, es ist ein toller Brief. Aber Sie verzeihen mir ihn. Wenn ich mündlich ein Narr bin, so werde ich schriftlich wol nicht viel weiseres seyn.

Noch Etwas. Ein Junge von hier wollte zu Ihnen und Ihnen melden, daß ein Stuttgardter Herr in Meiningen angelangt und sich nach Ihnen erkundigt habe. Er sei mit 4 Pferden gekommen. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es Pfaffenrath – oder Winkelmann. Sollte der leztere es seyn, so schiken Sie mir einen Expressen. Ich gehe nach Weimar.

Nunmehr leben Sie wol. An Lotten tausend Empfehlungen. Auch an Rheinwald ein Compliment. Den leztern bitten Sie, Ihnen den Meßias zu verschaffen und Oßian.

Morgen mehr. Ich bin unwandelbar Ihr Freund bis in den Tod und wo möglich noch weiter.

F. Schiller.