Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Henriette von Wolzogen

Mannheim, den 26. Mai [Mittwoch] 1784.

Nunmehr, meine Beste, kann ich Ihnen mit freiem unbefangenem Herzen wieder schreiben, da Sie mich aufs neu Ihrer Freundschaft versichern, und die meinige nicht zurükstoßen. Gewiß meine Theuerste! Nicht einen Augenblik haben Sie aufgehört, mir das zu seyn, was Sie mir immer waren – nur der Eigensinn meines Schiksals konnte mich in Lagen versezen, worinn ich gezwungen war mein eigenes Herz zu verläugnen. Es ist vorbei – es soll wenigstens vorbei seyn, und eine glüklichere Zukunft mache die Fehler der Vergangenheit wiederum gut.

Zur endlichen Erlösung und Versorgung Ihres Wilhelms1 wünsche ich Ihnen tausendmal Glük. Er hat lang darum bluten müssen, und wird jezt die Freuden der Freiheit desto lebhafter fühlen. Das angenehmste an der Sache war mir, daß meine Furcht, er würde nach Hohenheim versezt werden, ungegründet gewesen. Nun hoffe ich, wird es doch eins von seinen ersten Geschäften seyn, seine liebe Mutter und Schwester zu besuchen. – Natürlicherweise führt ihn dann, zwar nicht der nächste Weeg, aber doch der Weeg der Freundschaft über Mannheim, ich habe die Freude, meine Zärtlichkeit gegen die Mutter dem Sohn zu beweisen, und Ihre unbegränzte Liebe zu mir, Ihre viele Aufopferungen für mich durch eine innige Freundschaft mit Ihrem Liebling in etwas wenigstens zu belohnen. Bringen Sie es ja dahin, meine Beste, daß Wilhelm hierdurchreißt – wer weiß, ob er mich dann nicht in einer Lage antrift, die mir verstattet, ihn zu begleiten.

Ihren Aufenthalt in Ihrem einsamen Hüttgen beneide ich, und dieses um so mehr, da mich die sengende Hize des hiesigen Klimas alles für meine Gesundheit befürchten läßt. Schon jezt ist die Luft hier so glühend, wie sie nur unter der Linie seyn kann, und die Winde, statt abzukühlen, brennen als wenn sie aus einem Bakofen kämen.

Den 7. Jun. [Montag].

Dieser angefangene Brief ist entsezlich lang liegen geblieben. Neulich, wie ich mit Schreiben begriffen war, lassen mich Fremde2 in den Pfälzerhof bitten, und bereden mich zu einer Reise nach Heidelberg. Ich komme mit meinem lieben Fieber zurük, und heute finde ich den angefangenen Brief an Sie unter meinen Papieren wieder. Ich will ihn also den Augenblik auch fortsezen.

Vor einem Monat waren Hr. und Fr. v. Kalb3 hier, und machten mir in ihrer Gesellschaft einige sehr angenehme Tage. Die Frau besonders zeigt sehr viel Geist, und gehört nicht zu den gewönlichen FrauenzimmerSeelen. Sie ließen mich wenig von ihrer Seite, und ich hatte das Vergnügen, ihnen einiges Merkwürdige in Mannheim zu zeigen. Jezt sind sie weiter nach Landau – haben aber versprochen, öftere Besuche hier abzulegen.

Gestern bekomme ich wieder Visitencharten von Herrn v. Beilwiz und Frau v. Lengefeld4, die aus der Schweiz zurükkommen. – Das Unglük aber traf es, dass ich eben nicht zu Hausse bin, und kaum kam ich noch zeitig genug Abschied von ihnen zu nehmen. Sie hoffen, durch Meinungen zu kommen, und werden Ihnen also ohne Zweifel in Bauerbach eine Überraschung machen. Unterdessen soll ich Ihnen tausend Empfehlungen schreiben. – Sie glauben nicht, meine Beste, wie theuer mir alles ist, was von Ihnen spricht, und nach Ihnen verlangt.

Dass ich in Frankfurt gewesen wissen Sie vermuthlich durch Rheinwald, von dem Sie auch noch andere Kleinigkeiten von mir hören können, oder bitten Sie ihn, Ihnen meinen lezten Brief zum Lesen zu geben. Ich kann nicht läugnen, dass mir die Zeit meines Hierseyns schon manches Angenehme und Schmeichelhafte widerfahren ist, aber es gieng doch nie biß auf den Grund meines Herzens, und dieses blieb noch immer kalt, und leer. Krankheit und Überhäufung von Geschäften goßen zuviel Bitteres in mein bisheriges Leben, und nie nie werde ich jene frohen heitern Augenblike zurükrufen können, die ich die Zeit meines Aufenthalts in Bauerbach so reichlich genoß. Wenn ich jezt ernsthaft über meine Schiksale nachdenke, so finde ich mich seltsam und sonderbar geführt. Nie kann ich ohne Bewegung der Seele an den Spaziergang in Ihrem Wald zurükdenken, wo es beschlossen wurde, dass ich eine Zeitlang verreißen sollte. Wer hätte damals gedacht, dass ein ohngefehrer Gedanke soviel, soviel in meinem Schiksal verändern würde? – und doch hat dieser Gedanke vielleicht für mein ganzes Leben entschieden. War mein Auffenthalt in Bauerbach etwa nur eine schöne Laune meines Schiksals, die nie wieder kommen wird. War es ein Gebüsch, wo ich auf meiner Wanderung hangen blieb, um desto stärker wieder mitten in den Strom gerissen zu werden? – Noch ligt eine undurchdringliche Decke vor meiner Zukunft. Ich kann nicht einen Augenblik sagen, wie lang mein hiesiger Aufenthalt dauern wird. Gegenwärtig wenigstens könnte ich ihn unmöglich abreißen, da mich tausenderlei Fäden binden, und meine Verfassung mich gegenwärtig drängt, auf eine gewisse Zeit zu kontrahieren. Dass ich aber, früher oder später, eine Reise zu Ihnen machen kann, bin ich vollkommen gewiß und überzeugt, und selbst der bedenkliche Artikel der Unkosten wird mir dann erleichtert werden, wenn meine Hoffnungen wahrsagen.

Vor einigen Tagen widerfährt mir die herrlichste Ueberraschung von der Welt. Ich bekomme Paquete aus Leipzig, und finde von 4 ganz fremden Personen Briefe, voll Wärme und Leidenschaft für mich und meine Schriften. Zwei Frauenzimmer, sehr schöne Gesichter, waren darunter. Die eine hatte mir eine kostbare Brieftasche gestikt, die gewiß an Geschmak und Kunst eine der schönsten ist, die man sehen kann. Die andere hatte sich und die 3 andern Personen gezeichnet, und alle Zeichner in Mannheim wundern sich über die Kunst. Ein dritter hatte ein Lied aus meinen Räubern in Musik gesezt, um etwas zu thun, das mir angenehm wäre. Sehen Sie meine Beste – so kommen zuweilen ganz unverhofte Freuden für Ihren Freund, die desto schäzbarer sind, weil freier Wille, und eine reine, von jeder Nebenabsicht reine Empfindung und Simpathie der Seelen die Erfinderin ist. So ein Geschenk von ganz unbekannten Händen – durch nichts als die bloße reinste Achtung hervorgebracht – aus keinem andern Grund, als mir für einige vergnügte Stunden, die man bei Lesung meiner Produkte genoß, erkenntlich zu seyn – ein solches Geschenk ist mir größere Belonung, als der laute Zusammeruf der Welt, die einzige süße Entschädigung für tausend trübe Minuten. – Und wenn ich das nun weiter verfolge, und mir denke, daß in der Welt vielleicht mehr solche Zirkel sind, die mich unbekannt lieben, und sich freuen, mich zu kennen, dass vielleicht in 100 und mehr Jahren – wenn auch mein Staub schon lange verweht ist, man mein Andenken seegnet und mir noch im Grabe Tränen und Bewunderung zollt – dann meine Theuerste freue ich mich meines Dichterberufes, und versöne mich mit Gott und meinem oft harten Verhängniß.

Sie werden lachen, liebste Freundin, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich mich schon eine Zeitlang mit dem Gedanken trage, zu heuraten. Nicht als wenn ich hier schon gewählt hätte, im geringsten nicht, ich bin in diesem Punkt noch so frei, wie vorhin – aber eine öftere Überlegung, dass nichts in der Welt meinem Herzen die glükliche Ruhe, und meinem Geist die zu Kopfarbeiten so nötige Freiheit, und stille leidenschaftslose Muße verschaffen könne, hat diesen Gedanken in mir hervorgebracht. Mein Herz sehnt sich nach Mittheilung, und inniger Theilnahme. Die stillen Freuden des häußlichen Lebens würden, müßten mir Heiterkeit in meinen Geschäften geben, und meine Seele von tausend wilden Affekten reinigen, die mich ewig herumzerren. Auch mein überzeugendes Bewußtseyn, dass ich gewiß eine Frau glüklich machen würde, wenn anders innige Liebe und Antheil glüklich machen kann, dieses Bewußtseyn hat mich schon oft zu dem Entschlusse hingerissen. Fände ich ein Mädchen, das meinem Herzen theuer genug wäre! oder könnte ich Sie beim Wort nehmen, und Ihr Sohn werden. Reich würde freilich Ihre Lotte nie – aber gewiß glüklich.

Den 15. Juny [Dienstag].

Der Brief ist wieder ein paar Tage unterbrochen worden. Ich überlese ihn jezt, und erschreke über meine thörigte Hoffnung. – Doch meine Beste, so viele närrische Einfälle, als Sie schon von mir hören mußten, werden auch diesen entschuldigen. Leben Sie wol, und empfehlen Sie mich tausendmal Ihrer lieben Lotte; grüßen Sie auch die Tante – an Wilhelm will ich die nächste Woche schreiben5. Wenn er mich nur hier überraschte! – Ich habe gehört, daß Winkelmann über Mannheim nach Meinungen gehen werde. Es sollte mich herzlich freuen, wenn er einige Tage bei mir zubringen wollte. Für Ihren Freund und auch für den meinigen kann ich doch nie zuviel thun. Tausendmal leben sie wol meine Beste, und erinnern Sich Ihres Ihnen ewig treuen Freundes

Friderich Schiller.