Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Christophine Schiller

Dresden d. 28. Sept. [Mittwoch] 85.

Da Du mir Deinen gefaßten Entschluß wegen Rheinwald nur bloß historisch hast melden laßen, nachdem eure Verlobung vorbei ist, so sollte ich freilich vermuthen, daß Dir an meiner Bestätigung nicht sonderlich viel gelegen seyn werde. Doch keine Vorwürfe, meine gute Schwester – vielleicht habe ich durch meine vorhergegangenen Zweifel, durch den Anschein von Mißbilligung, Dein Vertrauen zurückgescheucht, und Dein Verdacht in die Unbefangenheit meines Raths hat Deiner Freimütigkeit gegen mich geschadet.

Die Gegengründe, die ich Dir aufstellte, überwogen zwar die Gründe, die ich bei Dir voraussezte, aber Du behieltest vielleicht den hauptsächlichsten zurük, wobei Du mich nicht zum Vertrauten machen wolltest, und konntest also niemals hoffen, meine Zweifel zu widerlegen. Ich fürchte sogar, daß Du aus meiner Uebereinstimmung mit der Frau v. Kalb auf ein Komplott gegen diese Heurath geschloßen hast, und wir beide hatten zugleich das Schiksal, Dein Vertrauen zu verlieren. Wie dem auch sei – die ganze Sache ist nun entschieden, und ich habe Dich biß jezt noch so wenig auf Uebereilungen überrascht, daß ich in die überlegte Klugheit Deines Entschlußes nicht das mindeste Mistrauen seze. Die Beharrlichkeit meines Freundes, die sich bei diesem Fall vorzüglich auszeichnet, und die Verbesserung seiner Glüksumstände verändern ohnehin die ganze Gestalt der Sache, und also natürlicherweise auch meine Meinung. Du kennst ihn, und bist also auf alles vorbereitet, was unvermeidlich sein wird, und wirst dich in das zu finden wißen, was Dich nicht mehr überraschen kann. Er wird das Opfer schäzen, was Du ihm gebracht hast, und Dich mit jedem Fall zu verschonen trachten, wo es Dich reuen könnte. Alles hoffe ich von deinem Verstand und seiner Rechtschaffenheit, und mit der nämlichen Wahrheit, und Offenherzigkeit, womit ich alle meine Einwendungen gegen Deinen künftigen Mann zu verantworten mich erbiete, gebe ich jezt meinen brüderlichen Seegen zu eurer Vereinigung. Mache ihn so glüklich, meine Liebe, als Du verdienst, es durch ihn zu werden.

Meine und der Frau von Kalb Briefe über diese Angelegenheit, bitte ich Dich, ihm ausdrüklich zu zeigen. Sie werden ihn an die Pflichten erinnern, die er gegen Dich hat, und er wird sich Mühe geben, unsere Besorgnisse zu widerlegen. Ich habe niemals aufgehört sein Freund zu seyn, sage ihm das und auch meinem Vater. Unsre Misverständniße waren nie etwas anders, als eine Collision seiner Hypochrondrie und meiner Empfindlichkeit. Ich kann ihn nicht mehr lieben nachdem er mein Schwager ist, als vorher, da er nur mein Freund war. Jezt thu ich aus Pflicht, was ich damals aus Wahl gethan.

Einst meine gute Schwester, wiegte sich mein Herz mit glänzenden Hoffnungen für Deine und Deiner Schwestern Glükseligkeit. – Meine Entwürfe sind demütiger worden, aber ich gebe noch keinen einzigen auf. So lang mich unter den manichfaltigen Bizarrerien des Schiksals das Gefühl meiner selbst nicht verlassen wird hoffe ich alles. Ich kann meinen Vater noch immer nicht überführen, daß ich durch den Verlust meines Vaterlandes alles gewonnen habe. Freilich meine Liebe, ich trat mit eigenmächtiger Zuversicht aus dem damaligen Kreis meiner Bestimmung heraus, der so eng und so dumpfig war wie ein Sarg. Ich pochte auf eine innere Kraft, die meinem Vater ganz neu, und schimärisch war, und ich gestehe mit Erröthen, daß ich ihm die Erfüllung meiner stolzen Ansprüche noch biß auf diesen Tag schuldig blieb. Ihn hätte es mehr befriedigt, wenn ich, seinen ersten Planen gemaß, in unbemerkter doch ruhiger Mittelmäßigkeit das Brod meines Vaterlandes gegeßen hätte – aber dann hätte er nicht zugeben sollen, daß eine unglükliche Schnellkraft in mir erwachte, daß sich mein Ehrgeiz entwikelte, dann hätte er mich mit mir selbst ewig unbekannt erhalten sollen. Das, was er noch biß jezt meine Uebereilung nennt, hat seinen Namen weiter getragen als er hoffen konnte. – Laut genannt zu werden, haben mache mit Aufopferung ihres Lebens und ihres Gewißens gesucht, mich hat es nichts als drei Jünglingsjahre gekostet, die mir vielleicht in den nächstfolgenden wuchern werden. Ich sehe rükwärts in mein Leben, und bin frölich, liebe Schwester, und voll Muth für die Zukunft. Alle meine Schiksale verschwinden gegen das, was ich gewann – schon allein die Eroberung einiger (und warum soll ich nicht sagen, vieler?) edler herrlicher Menschen war den bedenklichen Glükswurf um mein Schiksal werth. Mein Vater ist 60 Jahre alt, und hat eine kleinere Liste solcher Freunde als ich, und diese alle danke ich ja bloß jenen getadelten Schimären.

Lebewol liebste Schwester. Unsern Eltern sage, daß sie von jezt an um mich ganz unbesorgt seyn sollen. Alle ihre Wünsche und Projekte mit mir, werden weit unter meinem jezigen glüklichen Schiksal bleiben. Grüße Louisen und küsse meine Nanette. Schreibe mir bald und recht aufrichtig. Ich bin mit unwandelbarer Liebe

Dein

Zärtlicher Bruder

Frid. Schiller.