Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Weimar, d 23. Jul [Montag] 87.

Vorgestern Abend kam ich hier an. Was uns auf der Reise nach Leipzig begegnete wird euch die Schneidern geschrieben haben. In Naumburg hatte ich das Unglück den Herzog von Weimar um eine Stunde im Posthauße zu verfehlen, wo er mir beinah die Pferde weggenommen hat. Was hätte ich nicht um diesen glücklichen Zufall gegeben! Jezt ist er in Potsdam, und man weiß noch nicht, wie bald er zurückkommen wird.

Am nehmlichen Abend sah ich Charlotten1. Unser erstes Wiedersehen hatte soviel gepreßtes, betäubendes, daß mirs unmöglich fällt, es euch zu beschreiben. Charlotte ist sich ganz gleich geblieben, biß auf wenige Spuren von Kränklichkeit, die der Paroxysmus der Erwartung und des Wiedersehens für diesen Abend aber verlöschte und die ich erst heute bemerken kann. Sonderbar war es, daß ich mich schon in der ersten Stunde unsers Beisammenseins nicht anders fühlte als hätt ich sie erst gestern verlassen. So einheimisch war mir alles an ihr, so schnell knüpfte sich jeder zerrissene Faden unsers Umgangs wieder an.

Ehe ich euch über sie und auch über mich etwas mehr sage laßt mich zu mir selbst kommen. Die Erwartung der mancherley Dinge die sich mir hier in den Weg werfen werden, hat meine ganze Besinnungskraft eingenommen. Ueberhaupt wißt Ihr, daß ich bald von den Dingen die mich umgeben und nahe angehen, betäubt werde. Das ist jezt mein Fall, mehr und mit größerem Rechte als jemals. Ich habe mit keinen Kleinigkeiten zu thun und die vielerlei Verhältnisse in die ich mich hier zertheilen muß, in deren jedem ich doch ganz gegenwärtig seyn muß, erschröckt meinen Muth und läßt mich die Einschränkung meines Wesens fühlen.

Gestern, als am Sontag, habe ich keinen Besuch gemacht, weil ich den ganzen Tag bei Charlotten zubringen sollte. Diesen Morgen habe ich Wieland in einem Billet begrüßt und erhalte eben die Antwort2, dass er mich diesen Nachmittag bei sich erwarten wird. Auch er scheint nicht von aller Unruhe frey zu seyn, denn er schreibt mir, meine Erwartungen so tief als möglich herab zu stimmen. Er scheint sehr ungeduldig mit mir bekannt zu werden, ich brenne vor Ungeduld in seine Seele zu sehen.

Einige Bekanntschaften habe ich indeß schon bei Charlotten gemacht eines Grafen von Solms und einer F. v. Imhof, der Schwester der Fr. v. Stein, die Körnern aus meiner Beschreibung bekannt ist. Meine Bekanntschaft mit dem ersten ist sehr lebhaft geworden und bei der letztern habe ich wie ich glaube einen ziemlich erträglichen Eindruck gemacht; was mir lieb ist, weil sie noch denselben Abend in einer großen Assemblee den ersten Laut von mir wird haben erschallen lassen. Die übrigen Weimarischen Götter und Götzendiener werde ich in dieser Woche schon expedieren. Wieland soll mir hierinn einige politische Maaßregeln vorzeichnen. Göthe ist noch in Italien, Bode in Paris, Bertuch ist auch abwesend, Reinhold ist schon in Jena. Mlle Schröder sehe ich wahrscheinlich bei Charlotten. Mlle Schmidt3 soll ein redseliges affectiertes und kaltes Geschöpf seyn; also aus der Partie wird nichts. Schlagt mir eine bessere vor.

Ich wohne biß jetzt noch im Gasthof zum Erbprinzen. Fr. v. Imhof will sich um ein Logis für mich bemühen. Solang ich nicht in meinen vier Wänden bin, erwartet nichts ordentliches von mir. Ort und Gegenden habe ich noch nicht Zeit gehabt in Augenschein zu nehmen. Doch gewann ein niedliches Wäldchen, das zum Spaziergang angelegt ist, schon im Hereinfahren mein Herz. Hier, meine lieben, werde ich oft unter euren Schatten herumwandeln.

Charlotte ist eine große sonderbare weibliche Seele, ein wirkliches Studium für mich, die einem größeren Geist als der meinige ist, zu schaffen geben kann. Mit jedem Fortschritt unsers Umgangs entdecke ich neue Erscheinungen in ihr, die mich, wie schöne Parthien in einer weiten Landschaft überraschen, und entzücken. Mehr als jemals bin ich jetzo begierig, wie dieser Geist auf den eurigen wirken wird. H. von Kalb und sein Bruder werden im September eintreffen und Charlotte hat alle Hofnung daß unsre Vereinigung im October zu Stand kommen wird. Aus einer kleinen Bosheit vermeidet sie deßwegen auch, in Weimar die geringste Einrichtung für häußliche Bequemlichkeit zu machen, dass ihn die Armseligkeit weg nach Dresden treiben soll. Sind wir einmal da, so läßt man euch für das weitere sorgen. Die Situation des H. v. Kalb am Zweibrückischen Hofe, wo er eine Carriere machen dürfte, wenn der Curfürst v. d. Pfalz sterben sollte, läßt sie vielleicht 10 biß 15 Jahre über ihren Aufenthalt frey gebieten4.

Von dem kleinen Fritz habe ich euch noch nichts gesagt. Es ist ein liebes Kind aus ihm geworden, das mir viele Freude macht. Er wird recht gut behandelt und hat schon sehr viele Züge von Güte und Gehorsam gezeigt. Charlotte geht wenig in Gesellschaft, wird aber nunmehr in diesem Punkt eine Veränderung treffen. Zu Ende dieser Woche oder Anfang der folgenden wahrscheinlich lasse ich mich der Herzogin vorstellen.

Jezt adieu, meine lieben. Ich muß diesen Brief abbrechen weil er gleich auf die Post muß. Meine ganze Seele ist bei euch – denn sollte Freundschaft ein so armseliges Feuer seyn, daß es durch Theilung verlöre? Kein Geschöpf in der Welt kann euch die Liebe, kann euch nur den kleinsten Theil der Liebe entziehen, womit ich auf ewig an euch gebunden bin. Adieu. Kunzens meine herzlichen Empfehlungen.

Frid. Schiller.

–––––––

[Weimar 24. Juli] Dienstag frühe.

Der Brief wäre hier auf der Post unnütz liegen geblieben, weil ich zu spät gekommen bin und erst Donnerstags eine Post abgeht. Ich erbreche ihn und erzähle euch, wie es mir gestern gegangen ist.

Ich besuchte also Wieland, zu dem ich durch ein Gedränge kleiner und immer kleinerer Kreaturen von lieben Kinderchen gelangte. Unser erstes Zusammentreffen war wie eine vorausgesezte Bekanntschaft. Ein Augenblick machte alles. Wir wollen langsam anfangen, sagte Wieland, wir wollen uns Zeit nehmen, einander etwas zu werden. Er zeichnete mir gleich bei dieser ersten Zusammenkunft den Gang unseres künftigen Verhältnißes vor und was mich freute, war, daß er es als keine vorübergehende Bekanntschaft behandelte, sondern als ein Verhältniß, das für die Zukunft fortdauern und reifen sollte. Er fand es glücklich, daß wir uns jezt erst gefunden hätten. Wir wollen dahin kommen, sagte er mir, daß einer zu dem anderen wahr und vertraulich rede, wie man mit seinem Genius redet.

Unsere Unterhaltung verbreitete sich über sehr mancherlei Dinge, wobei er viel Geist zeigte und auch mir dazu Gelegenheit gab. Einige Materien, religionsgespräche z. Beispiel, legte er besonders auf künftige Tage zurück; hierbei schien er sich sehr wol zu haben und über diesen Stoff ahnde ich werden wir warm werden. Auch über politische Philosophie wurde viel gesprochen, etwas über Litteratur, Göthe, die Berliner und Wien. Von Klingern sprach er sehr witzig; Stollberg ist seine Renonce, wie die unsrige; er ist jezt ganz in den Lucian versunken, den er wie den Horatz übersetzen und commentieren wird.

Sein Äuseres hat mich überrascht. Was er ist hätte ich nicht in diesem Gesichte gesucht – doch gewinnt es sehr durch den Augenblicklichen Ausdruck seiner Seele, wenn er mit Wärme spricht. Er war sehr bald aufgeweckt, lebhaft, warm. Ich fühlte, dass er sich bei mir gefiel und wußte daß ich ihm nicht misfallen hatte, ehe ichs nachher erfuhr. Sehr gerne hört er sich sprechen, seine Unterhaltung ist weitläufig und manchmal fast biß zur Pedanterei vollständig, wie seine Schriften, sein Vortrag nicht fließend, aber seine Ausdrücke bestimmt. Er sagte übrigens viel alltägliches, hätte mir nicht seine Person, die ich beobachtete, zu thun gegeben, ich hätte oft Langeweile fühlen können. Im Ganzen aber bin ich sehr angenehm bei ihm beschäftigt worden, und was unser Verhältniß betrifft kann ich sehr mit ihm zufrieden seyn. Man sagte mir nachher, dass er es nicht gewohnt wäre, sobald in den Ton mit einem andern zu entrieren, und unverkennbare Theilnahme, Wohlwollen und Achtung sprach aus ihm. Er wird sich näher an mich anschließen, er verweilte mit Wärme bei meinem Alter und bei der Idee, wie viel Spielraum mir noch übrig wäre. Wir wollen auf einander wirken, sagte er, und ob er gleich für Umänderung zu alt wäre, so wäre er doch nicht unverbesserlich.

Über meine Erwartungen und meine Absicht habe ich, aus guten Gründen, in der ersten Unterredung kein Wort mit ihm verloren. Überhaupt kann ich, da der Herzog doch noch nicht sobald kommt, abwarten, biß er selbst davon anfangen wird. Es sollte mich wundern, wenn er nicht hierüber etwas im Schilde führte. Ich blieb 2 Stunden bei ihm, nach deren Verfluss er in den Clubb mußte. Er wollte mich dort gleich einführen, aber ich hatte Charlotten zugesagt, mit ihr spazieren zu gehen. Unterwegs wollte er wegen der Schwan bei mir auf den Busch klopfen, ich war aber kalt wie Eis und höchst einsilbig. Es machte mir Spass, wie er sich dabei nahm.

Wieland ist hier ziemlich isoliert, wie er mir auch gesagt hat. Er lebt fast nur seinen Schriften und seiner Familie. Diese hab ich noch nicht gesehen, er will mich das nächstemal darin einführen. Mit ihm werde ich vermutlich auch nach Jena gehen.

Ich weiss nicht, was ich euch über ihn gesagt und was ich vergessen habe. Ist es etwas wichtiges so wird es mir ein andermal einfallen. Morgen besuche ich Herdern. Was ich dort sehe und höre, sollt ihr noch in diesem Briefe erfahren.

Hier ist wie es scheint schon ziemlich über mich, und mich und Charlotten gesprochen worden. Wir haben uns vorgesetzt, kein Geheimniß aus unserem Verhältniß zu machen. Einigemal hatte man schon die Discretion – uns nicht zu stören, wenn man vermuthete dass wir fremde Gesellschaft los seyn wollten. Charlotte steht bei Wieland und Herdern in großer Achtung. Mit dem ersten habe ich selbst über sie gesprochen.

Sie ist jetzt bis zum Muthwillen munter, ihre Lebhaftigkeit hat auch mich schon angesteckt und sie ist nicht unbemerkt geblieben. Heute schickt der Kammerherr Einsiedel5, den ich weder besucht noch gesehen habe, zu mir, und läßt sich entschuldigen, dass ich ihn nicht zu Hause getroffen habe. Er wollte mir aufwarten – ich verstand anfangs nicht was das bedeutete, Charlotte aber glaubt, daß es ein Pfiff wäre, mich zu ihm zu bringen, weil er mich der Herzogin vorstellen sollte. Diese lebt auf dem Lande, eine halbe Stunde von hier. Nun kann ich nicht umhin, mich nächster Tage praesentieren zu lassen.

Ein Logis habe ich im Hause der Fr. v. Imhof erhalten. Ich weiß aber noch nicht wie mirs gefallen und was es mir kosten wird. Heute soll ichs erst sehen. Es ist auf der Esplanade, eine Allee vor dem Hause, welche mich oft an das Fleischmannische und an den Japonischen Garten erinnern wird.

Ich komme von Herdern. Wenn Ihr sein Bild bei Graff gesehen habt so könnt ihr ihn euch recht gut vorstellen, nur dass in dem Gemählde zu viel leichte Freundlichkeit, in seinem Gesicht mehr Ernst ist. Er hat mir sehr behagt. Seine Unterhaltung ist voll Geist, voll Stärke und Feuer, aber seine Empfindungen bestehen in Hass oder Liebe. Göthen liebt er mit Leidenschaft, mit einer Art von Vergötterung. Wir haben erstaunlich viel über diesen gesprochen, was ich euch ein andermal erzählen will. Auch über politische und philosophische Materien einiges, über Weimar und seine Menschen, über Schubart und den Herzog v. Wirtemb, über meine Geschichte mit diesem. Er haßt ihn mit Tirannenhass. Ich muss ihm erstaunlich fremd seyn, denn er fragte mich ob ich verheurathet wäre. Uberhaupt gieng er mit mir um, wie mit einem Menschen, von dem er nichts weiter weiß, als dass er für etwas gehalten wird. Ich glaube, er hat selbst nichts von mir gelesen.

Herder ist erstaunlich höflich, man hat sich wohl in seiner Gegenwart. Ich glaube, ich hab ihm gefallen, denn er äusserte mehrmal, dass ich ihn öfters wiedersehen möchte.

Ueber sein Bild von Graff ist er nicht sehr zufrieden. Er hohlte mirs her und liess michs mit ihm vergleichen. Er sagt dass es einem italienischen AbbeL gleich sehe.

Göthe, gesteht er, habe viel auf seine Bildung gewirkt.

Er lebt äuserst eingezogen, auch seine Frau die ich aber noch nicht gesehen habe. In den Clubb geht er nicht, weil dort nur gespielt oder gegessen oder Toback geraucht würde. Das wäre seine Sache nicht. Weilands Freund schient er nicht sehr zu sein. Musäus hat er mir gerühmt. Er klagt sehr über viele Geschäfte und dass er zur Schriftstellerei wenig Zeit übrig behielte. Unter allen Weimarischen Gelehrten sei Wieland der einzige, der seinem Geschmack und seiner Feder leben könnte.

Von Herdern ist mir hier eine Schrift in die Hand gekommen: Gott ist der Titel6. Der Anfang, der von Spinoza handelt, hat mir gefallen. Das übrige hat keine Klarheit für mich. Herder haßt Kanten, wie Du wissen wirst.

Eben hatte ich eine gar liebliche Unterbrechung, welche so kurz war, daß ich sie Euch ganz hersetzen kann.

Es wird an meiner Thür geklopft.

„Herein.“

Und hereintritt eine kleine dürre Figur in Weißem Frack und grüngelber Weste, krumm und sehr gebückt.

„„Habe ich nicht das Glück, sagte die Figur, den Herrn Rath Schiller vor mir zu sehen?““

„Der bin ich. Ja.“

„„Ich habe gehört, daß Sie hier wären und konnte nicht umhin, den Mann zu sehen, von dessen Dom Carlos ich eben komme.““

„Gehorsamer Diener. Mit wem habe ich die Ehre?“

„„Ich werde nicht das Glück haben, Ihnen bekannt zu seyn. Mein Name ist Vulpius.““

„Ich bin Ihnen für diese Höflichkeit sehr verbunden – bedauere nur, daß ich mich in diesem Augenblick versagt habe und eben (zum Glück war ich angezogen) im Begriff war auszugehen.“

„„Ich bitte sehr um Verzeihung. Ich bin zufrieden, dass ich Sie gesehen habe.““

Damit empfahl sich die Figur7 - und ich schreibe fort.

Ich muß hier einen Bedienten annehmen, weil ich zum Verschicken die Leute nicht habe, und alle Tage etwas dergl. vorfällt. Charlotte hat mir einen ausgemacht und ich erwart ihn in einer Stunde. Gefällt er mir, und ist er nur mit 5 Thal. des Monats zufrieden, so bringe ich ihn mit nach Dresden.

Das schwarze Kleid hätt ich ganz entbehren können. Ich kann im Frack zum Herzog und zur Herzogin. Annonciert werde ich heute. Ich habe den Kammerherrn Einseidel besucht, der ein herzlich gutes Geschöpf ist mit dem ich eine Stunde vom deutschen Fürstenbund gesprochen habe. In diesem Hauße kann ich Musik hören, ein gewisser Schlick8 geht dort aus und ein.

Nun will ich doch schließen. Gott weiß, wann Ihr diesen Brief erhalten werdet. Charlotte hat euch schon geschrieben. Lebt tausendmal wol, und behaltet mich lieb. Ewig der eurige.

Schiller.