Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte v. Lengefeld

Weimar den 2. May [Freitag] 88.

Sie haben die Angelegenheit, deren Besorgung Sie so gütig übernahmen, so ganz nach meinen Wünschen und über alle meine Erwartungen zu Stande gebracht, bestes Fräulein, daß ich Ihnen unendlichmal dafür verbunden bin. Der Ort, die Lage, die Einrichtung im Hause, alles ist vortrefflich. Sie haben aus meiner Seele gewählt. Eine fürstliche Nachbarschaft hätte mir meine ganze Existenz verdorben. Ich habe Ihnen viele Mühe gemacht; aber ich weiß auch, daß Ihnen das Vergnügen, welches Sie mir dadurch verschaften, statt alles Dankes ist.

Meinem Lieblingswunsche steht also nichts mehr im Wege, als die Unsicherheit der Jahrszeit, die aber in wenigen Tagen wird gehoben seyn, und die Berichtigung einiger Kleinigkeiten, die mich aber auch nicht länger als etwa 8 oder 10 Tage hier aufhalten soll. Zehn Tage sind also mein längster Termin; dann adieu Weimar. Ich werde in Ihren schönen Gegenden, in dieser ländlichen Stille mein eigenes Herz wieder finden, und Ihre und der Ihrigen Gesellschaft wird für mich alles, was ich hier zurücklasse, reichlich entschädigen.

Herr von Kalb geht kommenden Mittwoch mit seiner Frau nach Kalbsrieth, um die wenigen Wochen, die ihm noch von seinem Semestre übrig sind, bei seinem Vater zuzubringen. Sie wird dann noch etliche Monate bey dem Leztern ausdauern und alsdann nach Weimar zurückkehren. Dem Fritz sind unterdessen die Blattern inoculiert worden und mit dem glücklichsten Erfolg; aber Frau von Kalb befand sich einige Tage übel, doch hat Sie sich jezt vollkommen wieder erhohlt. Daß Frau von Imhof alle ihre Kinder hat inoculieren lassen, wissen Sie vermuthlich schon von ihr selbst; der gute Ernst ist sehr hart mitgenommen worden, dafür hat Ihr Käthgen desto weniger gehabt. Ernst ist jezt außer Gefahr, aber ob seine Schönheit nicht etwas dabey gelitten hat, wird sich erst ausweisen.

Jetzt sind wir hier einzig an die liebe Natur verwiesen; die Comödie, ihre armselige Stellvertreterin im Winter, hat uns verlassen. Der Frühling ist dafür da, mit allen schönen Sachen, die er mitbringt. Mich verdrießt es ordentlich, dass ich diese lieblichen Tage hier in der Stadt und auf den kümmerlichen Spaziergängen da herum so ganz und gar verlieren soll. Wie viel angenehmer sollten sie mir in Ihrer Nachbarschaft vorüber gehen!

Sie warnen mich, bestes Fräulein, dass ich mir von meinem Auffenthalt bei Ihnen (oder wollten Sie vielleicht sagen, von Ihrer Freundschaft?) nicht zuviel versprechen soll. Mir ist in der That für nichts bange, als daß ich, bey allen Bestrebungen und Wünschen, nichts, gar nichts im Vermögen haben werde, was gegen das Vergnügen, das Ihr Umgang, auch ohne Ihr Zutun, mir gewährt, in Anschlag kommen kann. Aber Ihre Warnung, bestes Fräulein, erinnert mich, dass es doch wohl möglich seyn könnte, ich setze zu viele gute Meinung von mir bey Ihnen selbst voraus, und mehr als ich biß jezt Gelegenheit gehabt habe, zu verdienen. Ich finde wirklich, dass ich bisher mehr als ich sollte, an mich selbst dabey gedacht habe und dass mich die liebliche Vorstellung Ihrer Freundschaft gar wohl verleitet haben könnte, sie als etwas schon erworbenes und entschiedenes vorauszusetzen. Dieses bestes Fräulein und nicht meine Phantasie habe ich zu fürchten, denn meine Phantasie, das glauben Sie mir! hat gar keinen Antheil an meiner Vorstellung von Ihnen. Ich bitte also für mich selbst um die Toleranz, die Ihre Bescheidenheit sie von mir begehren ließ, und im Ernste bitte ich Sie darum. Werden Sie auch meine Fürsprecherinn bey den Ihrigen; sagen Sie ihnen lieber recht viel schlimmes von mir, dass sie doch durch das wenige gute, was ich noch habe, überrascht werden und es mir höher anschreiben. Vor allen Dingen aber sagen Sie ihnen, wie sehnlich ich unsrer nähern Bekanntschaft entgegen sehe.

Wolzogen hat mir noch nicht geantwortet. Seine Mutter (wie Sie vielleicht schon wissen) hat eine schmerzhafte operation mit vieler Standhaftigkeit und glücklich überstanden3.

Leben Sie recht wohl. Adieu.

Schiller.