Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Volksstädt, d. 27. Juli [Sonntag] 1788.

Die Wunderkräfte des Karlsbades werden sich nun bald an Dir bewiesen haben, wenn auch nicht die des Waßers, doch die des Neuen und des Geselligen, das in reichem Maaß auf Dich regnen wird. Doch glaube ich, daß Ihr euch alle nicht sehr lange von Hause halten könnt, ohne euch schmerzlich wieder in Eure blaue und lillafarbe Stube zu sehnen. Ich bin begieriger, wie das Bad den Frauens bekommen wird; denn da Deine Natur nicht so eigensinnig und wunderlich ist als das närrische Ding von weiblicher Composition so wird das Bad auf Dich auch nur flach wirken und Deine Natur hilft sich am Ende am besten selbst. Neugierig bin ich, was für Menschen Du gefunden haben wirst. Du hast mir nicht geschrieben ob Sophie auch mit euch nach dem Carlsbad gereist ist und wie lang sie überhaupt bei euch zu bleiben gedenkt. „Du hast mich ungeduldig gemacht, sie von Person kennen zu lernen, und ich wünschte, dass Du mir mehr specielles von ihr schriebest. Thue es doch in Deinem nächsten Briefe und sage mir, ob Du wohl glaubst, daß sie eines von denen Geschöpfen sey, für die ich Sinn habe?“

Ich habe mich hier noch immer ganz vortreflich wohl. Nur entwischt mir manches schöne Stündchen in dieser anziehenden Gesellschaft, das ich eigentlich vor dem Schreibtisch zubringen sollte. Wir sind einander hier nothwendig geworden und keine Freude wird mehr allein genoßen. Die Trennung von diesem Hause wird mir sehr schwer seyn, und vielleicht desto schwerer, weil ich durch keine leidenschaftliche Heftigkeit sondern durch eine ruhige Anhänglichkeit die sich nach und nach so gemacht hat, daran gehalten werde. Mutter und Töchter sind mir gleich lieb und werth geworden und ich bin es ihnen auch. Es war echt gut gethan, dass ich mich gleich auf einen vernünftigen Fuß gesetzt habe, und einem ausschließenden Verhältniß so glücklich ausgewichen bin. Es hätte mich um den besten Reiz dieser Gesellschaft gebracht. Es sollte mich wundern, wenn Euch diese Leute nicht sehr interessierten. Beide Schwestern haben etwas Schwärmerei, was Deine Weiber nicht haben, doch ist sie bei beiden dem Verstande subordiniret und durch Geistescultur gemildert. Die jüngere ist nicht ganz frey von einer gewissen Coquetterie d’esprit, die aber durch Bescheidenheit und immer gleiche Lebhaftigkeit mehr Vergnügen gibt als drückt. Ich rede gern von ernsthaften Dingen, von Geistesweben, von Empfindungen – hier kann ich es nach Herzenslust, und ebenso leicht wieder auf Possen überspringen.

Ich konnt es nicht ganz vermeiden auch andere Menschen hier kennen zu lernen, doch ist es bis jetzt noch gnädig zugegangen. Ein Original ist darunter, das sich aber weniger schildern läßt. Ein Herr von Kettelhodt1, der Minister und eigentliche Landesregent. Eine groteske Species von Menschen, und eine monströse Composition von Geschäftsmann, Gelehrten, Landjunker, Galanthomme und Antike. Als Geschäftsmann soll er vortreflich seyn und dabey tragen wie ein Esel; sein größter Anspruch geht aber auf gelehrte Wichtigkeit. Er hat eine Bibliothek angelegt, die für einen Particulier erstaunend groß, dabey aber zu keinem Zwecke ganz brauchbar ist. Sie enthält schöne und selbst rare Werke in allen Fächern, aber keins ist nur leidlich complett. Da es ihm mehr um Menge die ins Auge fällt als um einen vernünftigen Gebrauch zu thun war, so hat er alles durcheinander gekauft. Aus der Geschichte habe ich treffliche Werke da gefunden, und im Fach der alten Romane aus dem Mittelalter mag wohl das meiste zu finden seyn.

Die Anlage von aussen fällt gut ins Auge, der Saal und der Eintritt ist fürstlich. Die Bibliothek würde ich übrigens, wärs auch nur um in dem alten Schutt der Romane und Memoires ein Goldkörnchen auszuwählen, fleissig besuchen, wenn der Wirth zu vermeiden wäre. Aber zum Unglück ist er äuserst eitel, besonders auf gelehrte oder gar berühmte Bekanntschaften, und man wird ihn nicht los. Nachdem er in Erfahrung gebracht hat, daß ich seine Bibliothek gelobt habe mußte ich ein Souper bey ihm aushalten, und er ließ meinen Burschen von der Gasse auffangen, mich nach Volkstädt mit Wein zu regaliren.

Herder wird nun bald Weimar verlassen; diese Tage nahm er auf der Kanzel Abschied2. Ich weiss nicht, ob ich Dir schon geschrieben habe, daß ihm vor einiger Zeit von unbekannter Hand 2000 Thlr. sind zum Geschenk gemacht worden, welches ihm bei der großen Zerrüttung seiner Umstände äußerst wohl gethan hat. Findest Du nicht, daß dieses eine äuserst vortrefliche Handlung ist? Ich bewundre den unbekannten guten Mann, der eine schöne Handlung an einem so gut gewählten Gegenstand ausgeübt hat. Herder hat in seiner Abschiedsrede dem Unbekannten auf der Kanzel gedankt und ich finde, dass er das gut gemacht hat. Es ist eine edle Dankbarkeit, die dem Geber genugthuend seyn kann und sie schickt sich für Herdern nach dem Gebrauche den er von der Kanzel macht. Er wendet sich an die Quelle des guten, weil er das Werkzeug nicht wissen soll.

Von Weimar höre ich schon viele Wochen nichts, doch wird dieser Tage Frau von Stein hierther kommen, die mir von Göthen erzählen soll. Fr. v. Kalb ist in Meiningen. Huber hat mir auch geschrieben. Ich ärgere mich über mich selbst, dass ich über sein Stillschweigen so empfindlich habe seyn können. Wie ungerecht kann man seyn gegen andre und wieviel hätte man sich selbst zu vergeben! Adieu. Schreibe mir bald. Ich erwarte heute einen Brief. Möchte Dir der Himmel ihn eingegeben haben. Grüße die andern.

S.

Ich breche meinen Brief noch einmal auf; den Deinigen aus dem Carlsbad habe ich erhalten. Das Resultat von dem was Du schreibst ist also, dass Dirs in Carlsbad nicht sonderlich gefällt, aber dass Du wohl bist, ist um so besser. Lass mich doch wissen, wann Ihr wieder abzugehen gedenkt.

Nach Weimar werde ich doch wohl nicht sobald kommen. Es ist eine kleine Tagereise hin, und es sind der Orte nach denen ich meinen hiesigen Leuten habe versprechen müssen Parthie mit zu machen soviel, daß mir keine Zeit für so große Excursionen übrig bleibt. Ich bin sehr neugierig auf ihn, auf Göthe, im Grunde bin ich ihm gut, und es sind wenige, deren Geist ich so verehre. Vielleicht kommt er auch hierher, wenigstens nach Kochberg, eine kleine Meile von hier, wo Fr. v. Stein ein Gut hat.

Die Niederl. Geschichte wird nach dem angefangenen Plane 6 Bände. Der erste hat 32 Bogen3. Nun urtheile! Es wird alles auf die Aufnahme des ersten Versuchs ankommen, ob ich in dem Fache verharre. Wenn ich aber auch nicht Historiker werde, so ist dieses gewiß, daß die Historie das Magazin seyn wird woraus ich schöpfe, oder mir die Gegenstände hergeben wird, in denen ich meine Feder und zuweilen auch meinen Geist übe. Huttens Geschichte4 ist noch nicht im reinen, aber der erste Plan hat wichtige Veränderungen erlitten. Davon ein andermal. Im Juliusstück des Merkurs stehen Briefe von mir über den Carlos5. Schreibe mir Deine Meinung darüber. Vergiss nicht mir von der Beckern zu schreiben. Grüsse mir alle.

      Adieu.

S.