Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte v. Lengefeld

Weimar d. 14. [fälschlich für 13. Nov. Donnerstag] 1788.

Mein erster ruhiger Augenblick ist für Sie. Ich komme eben nach Hause, nachdem ich mich den ganzen Tag bei den Leuten herumgetragen habe, und für diese Mühe belohne ich mich mit einem recht lebhaften Andenken an meine theuren Freundinnen, die ich heute nicht zu sehen mich gar noch nicht gewöhnen kann.

Diß ist der erste Tag, den ich ohne Sie lebe. Gestern habe ich doch Ihr Haus gesehen und Eine Luft mit Ihnen geathmet. Ich kann mir nicht einbilden, daß alle diese schönen seelenvollen Abende, die ich bei Ihnen genoß, dahin seyn sollen; dass ich nicht mehr wie diesen Sommer, meine Papiere weglege, Feierabend mache, und nun hingehe mit Ihnen mein Leben zu geniessen. Nein, ich kann und darf es mir nicht denken, dass Meilen zwischen uns sind. Alles ist mir hier fremd geworden; um Interesse an den Dingen zu schöpfen, muß man das Herz dazu mitbringen, und mein Herz lebt unter Ihnen. Ich scheine mir hier ein abgerissenes Wesen; in der Folge, glaube ich wohl, werden mir einige meiner hiesigen Verbindungen wieder lieb werden; aber meine besten Augenblicke, fürchte ich, werden doch diejenigen seyn, wo ich mich des schönen Traums von diesem Sommer erinnere, und Plane für den nächfolgenden mache. Ich fürchte es; denn Wehmuth wird sich immer in diese Empfindung mischen, und glücklich ist man doch nicht, wenn man nicht in der Gegenwart leben kann. Ich habe mir die Trennung von Ihnen durch Vernünfteleyen zu erleichtern gesucht, aber sie halten die Probe nicht aus, und ich fühle, daß ich einen Verlust an meinem Wesen erlitten habe. Seien Sie mir tausendmal gegrüßt, und empfangen Sie hier meine ganze Seele. Es wird alles wieder so lebendig in mir. Ich darf der Erinnerung nicht nachhängen.

Wie oft habe ich mich gestern nach Ihnen umgesehen, ob Ihr Wagen mir nicht nachkäme – und als ich den Weg nach Erfurt vorbey war, wie schwer fiel mir das aufs Herz, daß Sie mir nun nicht mehr nachkommen könnten. Ich hätte so gern Ihren Wagen noch gesehen.

Um 5 Uhr war ich hier. Ich bin aber den Abend nirgends gewesen. Heute Vormittag war ich bei Wieland, und habe da viele Dinge vorgefunden, die meine Gegenwart verlangten, den Merkur betreffend und die mit einem Plane1, wovon diesen Sommer unter uns die Rede war, in sehr genauem Zusammenhang sind. Auf jeden Fall Dinge, die mir es möglich machen werden, Ihnen nahe zu bleiben und Ihnen zu gehören; was das schönste dabey ist. Wieland behauptet, daß Lavater der Frau von der Recke durch seinen Brief sehr große Vortheile über sich gegeben habe. Der Brief soll ihm sehr wenig Ehre machen; Bode hat ihn und ich will ihn nebst der Antwort Ihnen zu verschaffen suchen. Fr. v. der Recke2 soll sich dießmal mehr zu ihrem Vortheil in Weimar ausgenommen haben. Sie blieb aber nur 2 Tage. Göhe3 ist nicht hier, kommt aber bald wieder. An Fr. on Stein habe ich gestern Abend den Brief gleich besorgt, ob sie nach Erfurt ist weiss ich noch nicht. Morgen werde ich sie besuchen. Frau von Kalb traf ich nicht allein; ich habe also nichts interessantes mit ihr sprechen können. Von Herdern4 sagt man mir, daß ihn die Gesellschaft der Frau von Seckendorf ganz überrascht habe, dass er nicht weit davon entfernt gewesen sey, sogleich wieder um zu kehren. Gewiß ists, daß man ihn bei dieser ganzen Sache hinterlistig überrascht hat; er hat sich darum auch von der Gesellschaft getrennt und lebt auf seine eigene Kosten; auf Ostern will er wieder hier seyn, und die Confirmation noch verrichten. Frau von Seckend. macht ein großes Haus in Rom, und wetteifert darinn mit der Herzoginn. An die leztere hält sich Herder fleißiger, als er vielleicht anfangs gewollt hat. Er wird sehr aufgesucht und geschäzt. Der Secretair der Propaganda, Borgia, den auch Göthe gut kannte, soll ihm sehr viel Ehr erweisen und ihn einigen Cardinälen als den Erzbischoff von Weimar vorgestellt haben. An allen disen Nachrichten war mir die angenehmste, dass Herder bald wieder kommen will. Die Herzoginn lebt unter dem Nahmen einer Gräfinn Altstädt in Rom, wo sie nach einer Herzogin von Colonna, die eine sardinische Hoheit ist, den vornehmsten Rang behauptet. Ich schreibe Ihnen diß, daß Sie der Erbprinzessin in Rudolfstadt eine Freude damit machen können, weil sie sich auf ihre Prinzessin von Sachsen soviel einbildet.

Sonst habe ich noch niemand hier gesehen, der Sie interessirte. Morgen werde ich die Imhof und Stein aufsuchen um recht viel von Ihnen und von Rudolfstadt sprechen zu können. Eben ist Comödie, die mich gar wenig anzieht; doch wünschte ich Ihnen in dem gar zu stillen Rudolfstadt manchmal diese Unterhaltung. Mlle. Schmidt ist noch in Frankfurth.

Göthe, heißt es, wird bei uns bleiben, ob er schon so gut als ganz ausgetreten ist, und alle Geschäfte abgegeben hat. Alles spricht hier mit ungemeiner Achtung von ihm und will ihn zu seinem Vorteil verändert gefunden haben. Er soll weniger Härten haben, als ehmals.

Ich bin auf Nachrichten begierig, wie Sie sich in Erfurt gefallen haben. Sie sind mir doch heute um 3 Stunden näher, und in dritthalb Stunden könnte ich bei Ihnen seyn; das ist doch ein kleiner Trost, aber nur auf kurze Zeit!

Jetzt gehe ich an den Euripides, und dann wird Thee getrunken. Meine Einsamkeit ist mir so lieb, weil sie mich Ihnen soviel näher bringt.

Der Stock5 ist gut erhalten angekommen; wenige Blätter nur sind verwelkt. Ich hab ihn heute schon öfters besucht und auch den potpourri. Wollen Sie die Güte haben, und den Pack Bücher der noch in Ihrem Hause steht an mich addressieren lassen. Ich habe keine Zeit mehr gehabt, es selbst zu thun; und mir ihn dann durch die fahrende Post schicken?

Leben Sie recht wohl! Ihrer Mutter und Beulwitz sagen Sie recht viel Schönes von mir, und noch recht vielen Dank für alle Güte und Liebe, die Sie diesen Sommer über mir bewiesen haben. Die Commission der Chere Mere werde ich bei meiner ersten Zusammenkunft mit Boden besorgen.

Vielleicht denken Sie in diesem Augenblick meiner – doch nein, Sie sind in Erfurt wo Sie auch allerlei zu sehen und zu hören haben, was nicht an mich erinnert. Aber wenn Sie im stillen Zimmer beim Thee zusammen sitzen, dann denken Sie meiner und wünschen, dass ich auch noch daran Theil nehmen könnte.

adieu. adieu. Schreiben Sie mir bald.

Ewig Ihr

Schiller.