Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte v. Lengefeld

Abends d. 22. Nov. [Sonnabend] 1788.

Ich muss Ihnen doch noch einen schönen guten Abend sagen.

Ich habe heute Ihren Geburtstag auf eine für mich gar angenehme und wohlthätige Art beschloßen. Der Himmel schenkte mir eine gute Stimmung (er muß diesen Tag einmal besonders lieb gewonnen haben) und ließ mich in heitrer Stille mich selbst geniessen. Seit ich hier bin, war ich von Arbeiten, die mir noch gar nicht recht ans Herz wollen, gespannt und zusammengedrückt; dieß war der erste Tag wo ich mein Wesen wieder in einer lebendigen Bewegung fühlte. Ich überliess mich süßen, dichterischen Träumen; alte erwärmende Ideen wachten wieder bei mir auf. Kurz ich war in dem Zustand, wie es in den Künstlern heißt

– – „in der schöneren Welt,
wo aus nimmer versiegenden Bächen
Lebensfluten der Dürstende trinkt
und gereinigt von sterblichen Schwächen,
der Geist in des Geistes Umarmungen sinkt.

Und dieses Vergnügen lassen Sie mich Ihnen danken. Sie sind die Heilige dieses Tages, und es freut mich noch einmal so sehr, wenn ich es aus einer so lieben Quelle empfange.

Ich lasse jezt die Ideen, die der schöne Rudolfstädtische Sommer in mir getrieben und zum Keimen gebracht hat, in stillen Augenblicken eine nach der andern an mir vorbeyziehen, und beschwöre sie, wie Schöpfer1 seine Geister. Die guten Geister stelle ich bei Seite, und die Bösen müssen Busse thun und sich bekehren; denn es sind mir zuweilen auch böse und ungläubige Geister bei Ihnen gekommen. Die guten will ich Ihnen nach und nach zuschicken.

Ich freue mich lebhaft auf den nächsten Sommer. Möchte die Zeit diesen Winter nur recht rasch und sich ausser Athem laufen, dass sie darnach den Sommer nicht mehr recht fort kann. Aber die Zeit ist ein kaltes fühlloses Ding das von Freud und Leid der Menschen keine Notiz nimmt, und für lauter Eigensinn immer langsamer geht, je mehr man es fortstößt, und wenn sie uns ja einmal eine solche Gefälligkeit erweist, so ist sie von dem kleinen Kapital unsers Lebens gestohlen.

Ich verfalle da, glaube ich gar, in Poesie; aber das sind noch Reste von der Laune, die Sie mir zu gut halten müssen. Die Einkleidung mag auch seyn wie sie will, so bleibt der Gedanke wahr und herzlich wahr, dass ich mit ganzer Seele bei Ihnen bin. Gute Nacht. Ein diensteifriger Nachtwächter versichert mir, daß es 10 geschlagen habe, und das versichert er immer drei ¾ Stunden später – also will ich Sie nicht länger vom Schlafen abhalten.

d. 26. [Mittwoch]. Hier eine Neuigkeit, die ich Ihnen gleich, wie ich sie empfangen mittheilen will. Frau von la Roche wird aller Wahrscheinlichkeit nach in wenigen Wochen, oder gar Tagen – hier seyn. Ihr Mann ist gestorben; und sie hat schon längst an ihre hiesige Freunde geschrieben, daß sie wie er die Augen zugedrückt habe, sich nach Weimar aufmachen werde. Wenn Sie bald kommen, so finden Sie Sie hier noch, wo nicht gar das Gewitter auch gegen Rudolfstadt zieht.

Herr von Knebel erzählt mir (er ist vor einigen Tagen mit Göthen wieder hier angekommen), daß das böse Lolochen das schöne Glas zerbrochen habe. Habe ich mirs doch eingebildet, dass die Herrlichkeit noch zu Trümmern gehen würde. Er hat Ihnen aber, wie ich höre, ein noch weit schöneres Physikalisches Präsent gemacht, das Sie mir nächstes Frühjahr hoffentlich noch werden zeigen können.

Er ist gar munter und wider seine Gewohnheit ganz gesprächig zurückgekommen, und kann gar nicht müde werden, das herrliche Leben in Jena zu rühmen. Er hat mir aber dißmal recht wohl gefallen; er schien fröhlicher und ganz verjüngt. adieu für heute.