Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz

Weimar d. 4. Dec. [Donnerstag] 88.

Ihre Briefe vertreten jezt bei mir die Stelle des ganzen Menschlichen Geschlechts, von dem ich diese Woche über ganz getrennt gewesen bin.

Seit meinem lezten Brief an Sie hüte ich, halb meiner Geschäfte wegen, halb aus einer gewissen Trägheit, das Zimmer. Ich kann Ihnen also nichts, gar nichts, von Neuigkeiten berichten, die einzige ausgenommen, daß Moritz seit heut oder gestern hier ist, auch einige Tage noch hier zubringen wird. Ich kenne ihn schon aus einer Zusammenkunft in Leipzig1, ich schätze sein Genie, sein Herz kenne ich nicht; sonst sind wir übrigens keine Freunde. Erfahre ich mehr von ihm, so theil ich es Ihnen mit. Ich weiß, Sie nehmen Interesse an ihm. Die Fr. v. la Roche ist noch nicht hier. Möchte es doch für diese Wetterwolke einen Ableiter geben!

Es ist mir gar lieb zu hören, daß mein guter Körner Ihre Eroberung gemacht hat. Ich wollte wir hätten ihn hier. Mein Herz und Geist würden sich an ihm wärmen, und er scheint jezt auch einer wohlthätigen Geistesfriction nöthig zu haben. Sie haben sehr recht, wenn Sie sagen, daß nichts über das Vergnügen gehe, Jemand in der Welt zu wissen, auf den man sich ganz verlassen kann. Und das ist Körner für mich. Es ist selten, daß sich eine gewiße Freiheit in der Moralität und in Beurtheilung fremder Handlungen oder Menschen mit dem zärtsten moralischen Gefühl und mit [einer] instinktartigen Herzensgüte verbindet, wie bey ihm. Er hat ein [freies] kühnes und philosophisch aufgeklärtes Gewißen für die Tugenden [und Fehler] anderer, und ein ängstliches für sich selbst. Gerade das Gegentheil [dessen, was m]an alle Tage sieht, wo sich die Menschen alles, und [ihren Ne]benMenschen nichts vergeben.

Freier als er von Anmaassung ist niemand; aber er braucht einen Freund, der ihn seinen eignen Werth kennen lehrt, um ihm die so nöthige Zuversicht zu sich selbst, das was die Freude am Leben und die Kraft zum Handeln ausmacht, zu geben. Er ist dort in einer Wüste der Geister. Die Cursachsen sind nicht die liebenswürdigsten von unsern Landsleuten, aber die Dresdner sind vollends ein seichtes, zusammengeschrumpftes, unleidliches Volk, bei dem es einem nie wohl wird. Sie schleppen sich in eigennützigen Verhältnißen herum, und der freie edle Mensch geht unter dem hungrigen Staatsbürger ganz verloren, wenn er anders je dagewesen ist. Zuweilen begegnet man einem verstümmelten Abdruck, oder vielmehr einer Ruine die ehmals Geist oder Herz beseelte. Aber die fatalen Verhältnisse haben beides zertreten und verheert; so daß man um das Gleichniß fortzuführen nur noch aus einer stehen gebliebenen Säule den Geist des Meisters und die Ordnung erkennt, in der das Gebäude aufgeführt worden. Ich habe schon etlichemal versucht, Körnern zu einem heroischen Schritt zu vermögen und ihn diese heillosen Fesseln wegwerfen zu lassen, aber er hat mir Gründe entgegengesetzt, worauf ich ihm nichts antworten kann – welche sich aber in der Folge der Zeit aufheben werden. Ich schreibe Ihnen da sehr viel über meinen Freund und vielleicht zu viel – aber würde ich das thun, wenn ich nic[ht] die Geliebten meines Herzens gerne mit einander verwech[selte] und sie in meinem Kopfe und in meiner Feder, weil es d[och leider in] der Wirklichkeit nicht angeht, gern zusammenbringen möchte.

Die Zeit zwischen der Ankunft und dem Abgang des Rudelst. Boten ist gar kurz und ungeschickt (just die Nachtzeit und der frühe Morgen vor dem Kaffe) dass ich Ihre Briefe, um sie besser zu genießen und zu beantworten, lieber erst mit dem folgenden Botentag beantworte, welches ich den ganzen Winter über so halten will. So will ich Ihnen auch die verlangten Theile vom Théatre des Grécs schicken, Wieland ist jezt nicht zu Hause, dass ich sie gleich könnte abhohlen lassen.

Ich bin dieser Tage zufällig an Montesquieu’s Considérations sur la Grandeur et décadence des Romains gerathen; eine Lecture, die ich Ihnen darum vorschlagen möchte, weil sie nach Gibbon Interesse für Sie haben wird, die Gegenstände wovon Montesquieu handelt sind Ihnen durch Gibbon, Plutarch u. s. f. geläufig. Es ist immer schön zu sehen, wie verschiedene Geister denselben Stoff formen. Montesquieus Manier ist die Resultate vieler Lecture und eines philosophischen Denkens in kurze geistreiche Reflexions voll Gehalt zusammen zu drängen, immer aber mit Hinsicht auf gewisse allgemeine Principien, die er bei sich festgesetzt hat, und die ihm zu Grundsäulen seines Systems dienen. Er ist daher recht dazu gemacht, um studirt zu werden. Da seine Gegenstände die wichtigsten und die eines denkenden Menschen am würdigsten sind (denn was ist den Menschen wichtiger als die glücklichste Verfaßung der Gesellschaft, [in] der alle unsre Kräfte zum Treiben gebracht werden sollen), [deshalb ge]hört er mit Recht unter die kostbarsten Schätze der [Litterat]ur. Ich freue mich auf die Musse um seinen [Esprit] des Lois mir recht in den Kopf zu prägen.

Mein Euripides gibt mir noch viel Vergnügen, und ein großter Theil davon kommt auch auf sein Alterthum. Den Menschen sich so ewig selbstgleich zu finden, dieselben Leidenschaften, dieselben Collisionen der Leidenschaften, dieselbe Sprache der Leidenschaften. Bei dieser unendlichen Mannichfaltigkeit immer doch diese Aehnlichkeit, diese Einheit derselben Menschenform. Oft ist die Ausführung so, daß kein anderer Dichter sie besser machen könnte; zuweilen aber verbittert er mir Genuß und Mühe durch viele Langeweile. Im Lesen ginge sie noch an, aber sie übersetzen zu müssen und zwar gewißenhaft! Oft macht mir das schlechtere die meiste Mühe. Im nächsten Monat werden Sie wohl die Fürchte meines jetzigen Fleißes zu lesen bekommen. Wielanden gebe ich eine Uebersetzung vom Agamemnon des Aeschylus in den Merkur; das ist aber erst gegen den Merz. Auf den will ich alle Mühe verwenden, weil dieses Stück eins der schönsten ist, die je aus einem Dichterkopfe gegangen sind.

Leben Sie recht glücklich und fahren Sie fort, meiner wie bisher fleissig zu gedenken und mir so schöne und große Briefe zu schreiben. Also bleibts bei der Einrichtung; de[n] nächsten Botentag schreibe ich Ihnen über die heutigen Bri[efe] ausführlicher. Eben ists auch eilf Uhr. Vermuthlich h[at sich] jetzt da ich dieß schreibe, ein sanfter Schlaf Ihrer bemeistert. [adieu.] adieu. Recht viele schöne Grüße an die Chère Mère und Beulwiz.

Sc[hiller.]