Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Weimar d. 9. Februar [Montag] 89.

Ich bin doch gar sehr begierig, was Du nun zu den Künstlern sagen wirst, wenn Du sie wieder zu Gesichte bekommst. Der ganz veränderte Anfang gibt dem Gedichte, gegen seine vorige Gestalt, ein ganz unkenntliches Ansehen, doch sehr zu seinem Vortheil. Ich habe nun die Hauptidee des Ganzen: die Verhüllung der Wahrheit und Sittlichkeit in die Schönheit, zur herrschenden und im eigentlichen Verstande zur Einheit gemacht. Es ist eine Allegorie, die ganz hindurch geht, mit nur veränderter Ansicht; die ich dem Leser von allen Seiten ins Gesicht spielen lasse. Ich eröfne das Gedicht mit einer 12 Verse langen Vorstellung des Menschen in seiner jetzigen Vollkommenheit; dieß gab mir Gelegenheit zu einer guten Schilderung dieses Jahrhunderts von seiner bessern Seite. – Von da mache ich den Uebergang zu der Kunst, die seine Wiege war und der Hauptgedanke des Gedichts wird flüchtig anticipirt und hingeworfen.

In den Künstlern behauptet die Einführung der Zweyten historischen Epoche, der Wiederauflebung der Künste nehmlich, ihren vorigen Platz, und gewiß mit Rechte. Ich habe diese ganze Stelle aber weit besser angefangen, mehr erweitert, und durchaus verbeßert. Nun folgt aber ein ganz neues Glied, wozu mir eine Unterredung mit Wieland Anlaß gegeben hatte, und welches dem Ganzen eine schöne Rundung gibt. Wieland nehmlich empfand es sehr unhold, daß die Kunst nach dieser bisherigen Vorstellung doch nur die Dienerinn einer höhern Kultur sey, daß der Herbst immer weiter gerückt sey, als der Lenz, und er ist sehr weit von dieser Demuth entfernt. Alles was wissenschaftliche Kultur in sich begreift, stellt er tief unter die Kunst, und behauptet vielmehr, daß Jene Dieser diene. Wenn ein Wissenschaftliches Ganze über ein Ganzes der Kunst sich erhebe, so sey es nur in dem Falle, wenn es selbst ein Kunstwerk werde. Es ist sehr vieles an dieser Vorstellung wahr, und für mein Gedicht vollends wahr genug. Zugleich schien diese Idee schon in meinem Gedichte unentwickelt zu liegen, und nur der Heraushebung noch zu bedürfen. Dieses ist nun geschehen. Nachdem also der Gedanke philosophisch und historisch ausgeführt ist, daß die Kunst die wissenschaftliche und sittliche Kultur vorbereitet habe, so wird nun gesagt: daß diese leztere noch nicht das Ziel selbst sey, sondern nur eine zweyte Stuffe zu demselben, obgleich der Forscher und Denker sich vorschnell schon in den Besitz der Krone gesetzt und dem Künstler den Platz unter sich angewiesen. Dann erst sey die Vollendung des Menschen da, wenn sich wissenschaftliche und sittliche Kultur wieder in die Schönheit auflöse.

Der Schätze, die des Denkers Fleiß gehäuffet,
wird er im Arm der Schönheit erst sich freun,
wenn seine Wissenschaft der Dichtung zugereifet,
zum Kunstwerk wird geadelt seyn1.

Diese Vorstellung führe ich nun auch wieder auf meine Allegorie zurücke, und lasse die Kunst an diesem Ziele sich dem Menschen in verklärter Gestalt zu erkennen zu geben. Das Ende von: Der Menschheit Würde u. s. f. an ist ganz geblieben, wie es war.

Aber ich will Dich diese Entdeckungen in dem Gedichte selbst machen lassen. Auch einige Deiner Anmerkungen habe ich benutzt, wie Du zu Deiner Befriedigung finden wirst. Das Gedicht ist weit größer geworden; aber ich glaube mit Dir, daß es dadurch doch an Kürze gewonnen hat. Es sind auch sonst noch – und an Orten, wo Du es gar nicht vermuthen magst – ganze oder halbe Strophen hinein gekommen, die meine Hauptidee sehr glücklich ausbilden, und unter die vorzüglichsten in der Ausführung gehören.

Ich gratulire Dir zu Deiner neuen Eroberung in dem Preußischen Gesandten. Sie ist Dir in Deiner GeistesWüste sehr zu gönnen; ich wünschte diese Bekanntschaft mit Dir zu theilen. Mache ihn nur bald wieder gesund.

Deine Uebersetzung von Gibbon erwarte ich mit Schmerzen; gern sähe ich sie in dem nächsten Merkurstück, daß wir doch in diesem Hefte Nachbarn würden. Auch die frühere Erscheinung dieses Stücks wird davon abhängen, daß Du diesen Beytrag einsendest. Meine Niederl. Geschichte soll in dem Göttinger Journal oder Zeitung sehr vortheilhaft recensiert seyn. In meinem nächsten Briefe erzähle ich Dir eine Unterredung, die ich mit Wieland über die Künstler gehabt habe2, und die uns einen interessanten Stoff geben wird, uns unsere Gedanken zu communicieren. Er läßt mir eben sagen, daß er heute zu mir kommen wolle; da wird denn noch weiter davon gesprochen. Lebe wohl. Grüße Minna und Dorchen.

      Dein

Schiller.