Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte von Lengefeld und Caroline von Beulwitz

Jena Dienstag Abends 1. Sept. [1789].

Wie bin ich froh, daß der sehbare Brief geschrieben ist. Es gibt einem ein so unaussprechlich heilloses Gefühl, doppelt zu seyn, seine Gedanken an Einen Menschen zu richten, und einen andern zu meynen. Ich habe auch geeilt, ihn fertig zu machen, damit ich mit desto freierem Sinn wieder bei Euch seyn kann.

Wie freut es mich jezt meine Lieben, daß ich euch neulich nicht umsonst auf einen Brief habe warten lassen; so wie es euch war, war es mir, als ich den Eurigen erhielt. Eine Hofnung, auch wenn man nur zur Hälfte daran glaubt, thut immer so weh, wenn sie hintergangen wird. Unsre Briefe sind j[ezt] unser grösster Schatz, denn wie wenig sie auch ausdrücken können was wir einander sind, so sind sie doch unvergleichbar mehr werth als alles übrige, weil sie die Stelle dessen vertreten, was uns das theuerste und das einzige ist – die Stelle unsrer Liebe.

Ich wünschte doch gar sehr, daß eure Mutter an meinem Kommen kein Mißvergnügen hätte, denn wenn wir glücklich sind, soll niemand Unlust dabey haben. Vielleicht könntet ihr sie euch näher bringen und von den kleinen Bedenklichkeiten losmachen, wenn ihr sie öftrer in eure Mitte nähmet, und überhaupt etwas fleißiger mit ihr umgienget. Sonst fürchte ich, wird sie euch unvermerkt fremder, und die Berührungspunkte verlieren sich ganz und gar. Es hat etwas ansteckendes mit solchen Menschen, als sie täglich um sich hat, zu leben.

Wie wird es aber mit unsern Abenden gehen, wenn ich in Volksstädt wohne? Ich will es so einrichten, dass ich gegen 3 gewöhnlich in R. bin, und zuweilen bleiben biß die Chere Mere wieder geht. Zuweilen komme ich auch den Vormittag. Bei schlechtem Wetter kann ich zur Noth im Wirthshauß oder sonst ein Absteigsquartier finden. Den Tag wann ich komme, weiss ich noch nicht bestimmt. Ich vermuthe dass ich Morgen (Mittwoch) über 14 Tage mein letztes Collegium lese.

Ich eile jetzt ganz gewaltig und meine Studenten freuen sich ordentlich, wie schnell es geht. Ganze Jahrhunderte fliegen hinter uns zurück. Morgen bin ich schon mit dem Alcibiades fertig, und es geht mit schnellen Schritten dem Alexander zu, mit dem ich aufhöre. Unser Plutarch tut mir jetzt gar gute Dienste; aber freilich habe ich jezt auch mehr Gelegenheit mich über ihn zu ärgern. Einige Vorlesungen will ich Euch doch zum Spaß mitbringen, die etwas interessantes für Euch haben können. Die erste, welche in den D. Merkur kommt lest ihr ohnehin.

Auf die Voyages d’Anacharsis bin ich sehr begierig. Sie sind ein sehr zuverläßiges historisches Werk und nichts als die Einkleidung ist poetisch. Ich verspreche mir große Genüsse davon. Von Gibbon habe ich einige neue Theile erhalten, und den Abschnitt von der Ausbreitung des Christenthums angefangen, die mich aber noch nicht recht interessieren will.

Ach! Wie schön wird es in der Zukunft seyn, wenn wir alle Schriften dieser Art gemeinschaftlich mit einander geniessen und jedes Gute und Schöne darinn, veredelt durch das Gepräge, das wir darauf drücken, in unsern Seelen niederlegen; wenn Alles unter uns gemeinschaftlich sein wird, biss auf die Erwerbungen unsers Geistes!

Schlaf wohl liebste theuerste. Es ist schon sehr spät und ich muss morgen früh auf seyn. Uebermorgen denke ich habt ihr diesen Brief, und ich, auf den Sonnabend, wieder einen von euch. Noch 4 Briefe, und wir sind wieder bey einander. adieu. adieu. Diesen Kuß bringe euch der gute Engel unsrer Liebe. adieu.

S.