Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz. 

Freitag Abends [30. Oktober 1789.]

Nun habe ich meine erste Vorlesungswoche1 geendigt, den 16ten Theil von dem ganzen Wintercollegium. Das Alletagelesen scheint mich nicht zu belästigen, im Gegentheil ich werde in einem gewissen Feuer der Arbeit dadurch erhalten, und jezt schon glaube ich einen schnellern Gang der Zeit zu bemerken. Wie ist mir eigentlich so wohl, daß ich mich mit keinem hiesigen Menschen vermische. Der Gedanke an euch ist meine Gesellschaft, immer gleich neu und gleich wohlthätig für mich. An diesem kurzen Bande geht mein Leben und ich kann ihm nicht weit entfliehen, so zieht es mich an den einzigen schönen Punkt meines Lebens ach meines ganzen Daseyns! zurück. 

Zwischen Rheinhold und mir ist doch eine kleine Annäherung vorbereitet. Ihr wißt, daß ich ihn nicht gern von mir entfernte und daß ich deßwegen bange war. Der Zufall fügte es, daß Wieland vor einigen Tagen hier war, und sich durch Rheinhold zu mir bringen ließ; dieser mußte es ehrenhalber thun, und so sahen wir uns, ziemlich ohne Zwang, das erstemahl wieder, weil wir unser Verhältniß einen dritten nicht merken lassen wollten. Die Rede gab sich von meiner im Merkur gedrukten Vorlesung, die Reinhold zu lesen wünschte. Ich schickte sie ihm und erhielt dafür sein neues philosophisches Werk2 zum Präsent. So stehen wir nun, und ich bin froh, daß die Menschen so versöhnlich sind. Wieland ist ein jämerlicher Tropf, wenn er auf sich zu reden kommt, welches kein so gar seltner Fall ist. Was ihn jezt gewaltig unruhig macht, ist der historische Kalender3, den ihr aus Leipzig geschickt bekommen habt. Göschen hat ihm einen Streich gespielt, und ohne ihm ein Wort zu sagen, daß er ihn als den Verleger4 in Archenholz Gesellschaft öffentlich nennen würde, hat er es auf den Titel gesetzt. Diese Gesellschaft mit Archenholz vor dem Publikum schmerzt ihn ganz erstaunlich, und das ist jetzt sein großes Leiden. 

Schulz war heute bey mir. Er ist seit 8 Tagen von seiner Pariser Reise zurück. Wolzogen hat er nicht gesprochen, aber doch hat er mir gesagt, dass ein junger Mahler aus Stuttgardt, Heideloff, den ich auch kenne, ihn habe zu Wolzogen bringen wollen. Es war aber zu kurz vor Schulzens Abreise. Nun wissen wir doch daß Wolzogen damals noch lebte, und daß er einen Landsmann gefunden hat. 

Schulz5 weiß sehr unterhaltende Partikularitäten von dem Aufruhr in Paris zu erzählen, gebe der Himmel, daß alles wahr ist was er sagt! Ich fürchte, er übt sich jezt im Vorlügen solange, biß er die Sachen selbst glaubt, und dann läßt er sie drucken. Einiges was mir eben einfällt will ich euch zum Besten geben, ihr könnt bey Hof damit Glück machen. Schulz beobachtete den König bey der Gelegenheit wo ihm die Kokarde zugesteckt wurde. Er hatte sie in der Einen Hand, und die andre stack in der West und hielt den Hut unter dem Arme. Als nun auf einmal geklatscht wurde, und er glaubte, daß er mit klatschen müßte, so wußte er sich keinen Rath, denn beyde Hände hatten schon ihre Verrichtung. Er entschließt sich also kurz, nimmt die Kokarde in den Mund, und klatscht herzhaft mit. Ist das nicht eine edle Gegenwart des Geists für einen König von Frankreich? – Ein andermal als er in den Wagen stieg hielt ihn eine Hökersfrau am Arm und sagte ihm mit Vertraulichkeit: Eh bien, Sire, a présent nous pouvons conter sur vous? – Schulz selbst hätte gelegenheitlich mit aufgehenkt werden können. Wie er bei dem ersten Aufruhr aus dem Palais royal kam, kam ihm ein Tross besoffenen Gesindels entgegen, und weil sie ihn für einen Engländer hielten, so würdigten sie ihn, ihn an ihrer Spitze zu sehen. Sie drangen ihm eine Flinte auf, und erklärten ihn zu ihrem Anführer. Er mußte mit, gern oder ungern, und zitternd trug er seine Flinte. Unterwegs erwischen sie einige andre, die sich aber entschuldigen, weil sie fremde seyen und mit der Sache nichts zu thun haben wollten. Comment sagte einer von den Trunkenbolden, der ein Savoyard war, vous ne férés rien pour l’humanité? Unter diesem Wortwechsel retirirte sich Freund Schulz in der Stille und warf seine Flinte von sich – Als in Versailles ein so erschreckliches Gedränge von Menschen war, hatte das Volk alles was von Essen da zu finden war, aufgebracht und aufgegessen. Ueber dem Tumult hatte der König nicht gefrühstückt, und die andern hatten ihn vergessen. Wie es gegen Mittag zuging und die Gefahr sich gelegt hatte, fieng er an zu hungern, und einige seiner Hofleute fragten es ihm ab. Da äußerte er denn, dass er ein Stückchen Huhn und ein Glas guten Wein kosten möchte. Man schickte durch ganz Versailles, aber nichts war mehr zu finden. Endlich brachte man ein Stück schwarzes Brod und einige Gläser sauren Wein. Er tunkte das Brod darein, und verzehrte es mit Begierde. Diese kleine Anekdote hat mich interessirt. 

Wegen des Buchs über Weimar6 habe ich nichts erfahren, entweder ist es noch gar nicht in Weimar zu finden, oder es ist kein eigenes Buch, und macht nur einen Aufsatz in einem andern aus. Die hiesigen Buchhändler wollen nichts davon wissen. Sagt also der chère Mère, daß es dießmal nicht an meiner Nachlässigkeit ligt, wenn sie es noch nicht bekommen hat. R. Krause7, der mit Schulz hier war, fragte wenn ihr in Weimar ankommen würdet? Man scheint dort sehr auf euch zu warten, um zu der Conversation beyzutragen. Ihr wohnt in demselben Logis, wo Schulz sonst gewohnt hat. Einen Schriftsteller müßt ihr also zum Vorgänger haben, aber von den Ideen, die etwa noch darinn schweben, könnt ihr keine brauchen. Das Logis ist leidlich und die Lage ist frey. Wir haben auch schon Clubb dort zusammen gehalten, aber was wir da sprachen, war eurer warlich nicht werth. Es ist nicht weit von Knebel; doch soll er hoffe ich sein Logis indessen verändert haben…


Bemerkungen

1 Schiller las in diesem Winter täglich außer Sonnabends, und Donnerstags 2 Stunden hintereinander, und zwar privatim 5stündig Universalgeschichte von der fränkischen Monarchie bis auf Friedrich II. und publice 1stündig über die Geschichte der Römer. 
2 Reinholds Werk war sein „Versuch einer neuen Theorie des Vorstellungsvermögens. Jena 1789.“ 
3 Der historische Kalender für Damen auf das Jahr 1790. 
4 Verleger ist wohl Schreibfehler für Herausgeber. 
5 Friedrich Schulz, der Verfasser des Romans „Moritz“, von 1790 ab Prof. der Geschichte in Mitau. 
6 Ursprünglich schrieb Schiller: das über Weimar herausgekommen. Das erste und letzte Wort strich er aus. 
7 Georg Melchior Kraus, Gründer und Direktor der Herzogl. Zeichenschule in Weimar. – Der Schluß des Briefes, etwa höchstens 11 Zeilen, ist abgeschnitten.