Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz. 

Sontag Abends [10. Januar 1790].

Der heutige Tag war so freundlich hell, daß es mir eine harte Prüfung gekostet hat, meine liebsten, ihn nicht mit euch zu verleben. Hätte ich etwas früher daran gedacht, so hätte ich eine Zusammenkunft in Ketschau vorgeschlagen, und ihr hättet sie vielleicht angenommen. Ach ich hätte euch doch gesehen, und ein Stral des Lichtes hätte mein trübes Daseyn hier beschienen. Ich könnte nicht lange mehr von euch beyden getrennt seyn. Ich ertrüge es nicht. Oft mache ich mir Vorwürfe über diesen Mangel an Stärke, an Selbstständigkeit; Unmännlichkeit würden es andre mit dem gelindesten Nahmen nennen. Sonst war ich mir selbst mehr, weil ich mir alles seyn mußte: meine Wünsche waren genügsamer und mein eigenes Herz reichte hin, sie zu stillen. Ich umschlang die Geschöpfe der Einbildung, dichterische Wesen, mit einem Herzen der Liebe, mit einer geselligen Freude. Das ist jetzt alles vorbey meine Liebsten. Im Gedanken an euch, in der rastlosen Sehnsucht nach euch verzehrt meine Seele alle ihre glüenden Kräfte, und kein andrer Gegenstand bringt es bey mir auch nur biss zur Wärme. Nie bin ich in mir selbst so arm und so wenig gewesen, als jetzt in der Annäherung zu meinem seligsten Glück. Da es noch weiter entlegen war, gieng ich sparsamer um mit den Freuden des Augenblicks und hielt mich fest an der Hofnung. Aber in dieser Nähe der Erfüllung verschmäht die trunkene Seele das geringere Glück. Die Gegenwart ist mir nichts mehr, die Freuden der Hofnung nichts mehr, und doch seid ihr mir noch ferne. 

Gerne will ich mich selbst verloren haben; reicher und schöner werde ich mich aus den Händen der Liebe, aus euren Händen, zurück empfangen. Was für selige Tage warten auf uns! Alles ligt um uns bereit, was uns glücklich machen kann, denn wir brauchen ja nichts als Vereinigung. Theuerste meines Herzens! Ach wie ist alles biß jetzt schöner gegangen, als ich jemals hoffen konnte! Was ich mir kaum in ferner Zukunft als möglich denken konnte, ist nahe, ist so gut als wirklich! Hätte ich es mir auch nur vor einem Jahr noch geträumt, daß eine solche Zukunft mir beschieden wäre – mein ganzes übriges Leben wird der Liebe gehören, der Liebe, die in allen Gestalten mich umschweben wird. Das Leben an eurem Herzen! Euch an dem meinigen! O ich verliere mich im Himmel aller dieser Empfindungen! 

Der Mutter habe ich gestern geschrieben und ihr anschaulich gemacht, wie nichts uns mehr hindert, vereinigt zu seyn, und welche Einrichtung ich treffen werde. Auf den Dienstag erwarte ich ihre Antwort. Heute muß ich abbrechen meine liebsten, aber morgen erhaltet ihr wieder etwas. Lebt wohl, geliebteste. Meine Seele hängt mit tausend Küssen an euch. Wäret ihr bey mir! Adieu.


Bemerkungen

1 Zu S. 12. Z. 4 v. u. Gemeint ist das Dorf Kötschau auf der Straße von Weimar nach Jena.