Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner. 

Jena den 1. Febr. [Montag] 90. 

Du vermuthest mich bereits getraut und mein langes Nichtschreiben wird es Dir noch wahrscheinlicher machen; aber soweit ist es noch nicht. Erst auf den 10ten oder 12ten Febr. erwarte ich meine Schwiegermutter von Rudolstadt, weil sie nicht früher hat abkommen können. Unterdessen war ich etliche mahl in Weimar, und so gab es der Zerstreuungen mehr, dass ich es anstehen ließ, Dir zu antworten. 

Deine beiden Briefe haben mich sehr erfreut, der erste wegen Deiner Aussichten, der zweyte meinetwegen. 

In diesem letzten erkenne ich Dich wieder, ich kann mir wieder mit Zuversicht sagen, daß Du mir unverändert derselbe bist. Du gibst mir, und denen welche Deinen Brief zu sehen bekommen werden, einen Aufschluß über mich, der mir um seiner Wahrheit und um Deiner Billigkeit willen sehr willkommen war. Hast Du die Erfahrung von ununterbrochenen Freundschaftsgefühlen aus unserem Verhältniß genommen, so thust Du mir doch vielleicht Unrecht, wenn Du die Ursache ganz allein in mir und gar nicht in äusserlichen Vorfällen suchst, die den freyen Lauf meiner Empfindungen nicht selten verlenkt oder aufgehalten haben. Ich darf mir nicht selbst unrecht thun und von der Entschuldigung Gebrauch machen, womit Du mir entgegen kommst. Meine Freundschaft hat nie gegen Dich ausgesetzt; das Wandelbare in meinem Wesen kann und wird meine Freundschaft zu Dir nicht treffen, sie, die selbst davon, wie Du auch immer gegen mich handeln möchtest, unabhängig ist. Ich könnte mich überreden, daß ich Dir aufgehört hätte, etwas zu seyn, daß Deine Vorstellungsart und Deine Empfindungsart einen Gang genommen hätten, auf dem sie der meinigen nicht leicht mehr begegneten; aber Du hättest es in der Gewalt, in jedem Augenblicke mein Vertrauen zu Dir und die ganze Harmonie unter uns wieder herzustellen. Unterbrechungen welche meine innere Thätigkeit in unserer Freundschaft zu machen schien oder ferner scheinen möchte, können bloß die Äusserungen derselben treffen; und solche Unterbrechungen schaden ihr nichts; vielmehr bringen sie mich mit einem größeren Reichthum und mit einem geübteren Gefühl zu unserer Freundschaft zurück. Laß es immer als eine feste Wahrheit bei Dir gelten, was Du Dir selbst in Deinem letzten Briefe sagtest, dass der Dichter dem Freund keinen Abbruch thut, und sey versichert, daß an der genialischen Flamme, an welcher ein Ideal reifen kann, die Freundschaft niemals verdorret.

Daß wir getrennt von einander leben, und, wie es das Ansehen hat, noch manche Jahre leben sollen, ist schlimm. Die Entfernung wird uns den schönsten Genuß unseres Wesens rauben; aber laß uns unterdessen den Funken lebendig erhalten, der in einer günstigern Lage der Dinge, an die ich noch immer mit Zuversicht glaube, der spätern Periode unseres Lebens die Wärme geben kann. Vielleicht fanden wir einander in der Jugend nur, um uns einmal ihren Verlust zu ersetzen und unsere frühe Harmonie war nur die Anpflanzung des Baumes, unter dessen Schatten wir einmal ruhen sollen. Ich überlasse mich hier einer ernsthaften Vorstellung, aber sie dringt sich mir auf, wenn ich den Widerspruch unseres Verhältnißes mit unserem Schicksal zu heben suche. – 

Du wirst mit keinem Menschen ein genaueres Band flechten als mit mir, und ich eben so wenig. Also haben werden wir einander immer. 

Den Plan, den Du jetzt verfolgst, muss ich billigen. Was Dir eine sorgenfreye äussere Lage gibt, ist allem andern vorzuziehen und wie könntest Du nach höheren Genüssen streben, solange Du für Deine Subsistenz zu kämpfen hast. Eine Verbesserung Deiner Umstände ist das Mittel zu einem edlern Lebensgenuß – aber Mittel laß es auch nur bleiben, und nimm Dich in Acht, daß Du den Zweck nicht aufopferst um das Mittel zu erreichen. Überlege wohl, ob Du dieser Art Geschäfte Reiz und Interesse abgewinnen kannst, ob Dich die Details, in die Du nun hineingehen mußt, nicht anekeln oder ermüden1. Würden Deiner Geschäfte mehr, ohne daß Dein Geschmack dafür zunähme, so hättest Du Dich schwerlich verbeßert. Wohlstand von außen könnte Dir den Mangel an innerer Befriedigung nie verbergen. Dann ist es auch schwer zu sagen, wie weit sich die Macht dieses Berufs und dieser Lebensweise auch über die bessern Köpfe erstreckt. Du hast Beispiele vor Dir, die Dich abschrecken könnten. Um dieser neuen Bestimmung näher zu rücken, könntest Du Dich leicht von Dir selbst verlieren. Daß Du Dich darein schicken würdest, zweifle ich nicht; aber ich zweifle noch immer, ob eben dadurch, daß Du Dich darein schicken lernst viel für Dich gewonnen wird? 

Meinem künftigen Schicksal sehe ich mit heiterem Muth entgegen; jetzt, da ich am erreichten Ziele stehe, erstaune ich selbst, wie alles doch über meine Erwartungen gegangen ist. Das Schicksal hat die Schwierigkeiten für mich besiegt, es hat mich zum Ziele gleichsam getragen. Von der Zukunft hoffe ich alles. Wenige Jahre, und ich werde im vollen Genusse meines Geistes leben, ja ich hoffe, ich werde wieder zu meiner Jugend zurückkehren, ein inneres Dichterleben gibt mir sie zurück. Zum Poeten machte mich das Schicksal, ich könnte mich, auch wenn ich noch so sehr wollte, von dieser Bestimmung nie weit verlieren. 

Der Coadjutor hält den Gedanken, mich einmal zu etabliren und zu haben, noch immer sehr fest, und spricht aus eigenem Antrieb sehr oft davon. Jetzt will er, daß ich ihn in Erfurt besuchen soll, er wünschte mir die Hochzeit zu machen, aber ich zweifle, ob sich meine Schwiegermutter dazu entschließt. Wo möglich werde ich ihn aber doch nach der Hochzeit besuchen. Wird er Curfürst, so kann ich gewiß auf ihn zählen. 

Das Collegienlesen wird mir jetzt schon etwas leichter, oder ich mache es mir leichter. Das Ausarbeiten der Vorlesungen habe ich aufgegeben und spreche jetzt frey und aus d. Stegreif. Dadurch werden jeden Tag einige Stunden gewonnen, die das Aufschreiben mir sonst gekostet hat, und die Facta prägen sich meinem Gedächtniß weit besser ein, wenn ich mich auf mein Gedächtniß mehr verlassen muß. Sechzig Thaler habe ich doch jetzt für das Collegium eingenommen, und daß ich nicht leicht weniger auditores habe, kann ich ziemlich sicher voraussetzen; für 2 Collegien jedes halbe Jahr wären mir also doch ohngefähr 250 Thaler jährlich gewiß, und diese verdienen sich bequem und immer bequemer. So brauche ich nicht über 150-200 Thaler an Schriftstellerey zuzusetzen, und wie leicht sind mir doch 3, 400 zu verdienen. 

Daß Du den Tasso über meinem Fragment aus d. Geisterseher vergeßen hast, ist ein Compliment, das ich des guten Geschmacks willen nicht annehmen kann, – auch wenn ich mir gar nicht unrecht thun will. Denn höchstens konnte es Deine Erwartung nur erregen, die das Ende des Tasso befriedigt und also auch geendigt hat. Worüber ich Dich ausführlicher und auch etwas wärmer gewünscht hätte, wäre die Abhandlung im ersten Band der Memoires gewesen2. Dieses Product, glaubte ich müßte Dich überraschen, könnte Dich nicht kalt lassen, sowohl wegen der Neuheit der Gedanken, als auch wegen der Darstellung. Ich wagte mich darinn in ein Element, das mir noch fremd war, und glaubte mich mit vielem Glück darinn gezeigt zu haben. Der Hauptgedanke um den ich mich darinn bewege, scheint mir eben so neu und wahr, als er fruchtbar und begeisternd ist. 

Jetzt aber lebe wohl. Meinen nächsten Brief denke ich Dir als Ehemann zu schreiben, wenn nicht wieder ein Hinderniß dazwischen kommt. Lottchen soll Dir selbst sagen, was Du ihr bist und was Du ihr gewesen bist, seitdem Dein Name zuerst vor ihr genannt wurde. Beide grüßen euch herzlich. Lebewohl. 

               Dein 

S.


1 Vgl. II, 170. 175.
2 „Universalhistorische Übersicht der vornehmsten an den Kreuzzügen theilnehmenden Nationen, ihrer Staatsverfassung, Religionsbegriffe, Sitten, Beschäftigungen, Meinungen und Gebräuche.“ Memoires I, 1, S. XV-LII. S. Schr. 9, 215-237.


Bemerkungen

X. Vom 19. (?) und 26. Januar. Der erstere enthält freilich nichts von Körners Aussichten. Ich vermute daher, daß Schiller die wenigen Zeilen vom 19. Januar hier (S. 33. Z. 10) gar nicht als Brief rechnet und sich neben dem vom 26. Januar auf den Brief Körners bezieht, dessen er in Nr. 492 erwähnt und der leider fehlt. Z. Vom 9. Februar.
S. 33. Z. 17. a. ununterbrochen (Druckfehler, vergl. Berichtigungen). Z. 2. v. u. In A. hältst (wohl Lesefehler). S. 34. Z. 16. a. günstigern. Zu S. 35. Z. 8. A. und diese Lebensweise (wohl Lesefehler). Zu Z. 9 v. u. a. und zu holen (zu haben ist gewiß das richtige; sonst stände im Original zu hohlen und daraus hätte Müseler nicht „haben“ lesen können).
1 Zu S. 33. Z. 10. Körner hatte am 26. Januar die schönen offenen Freundesworte geschrieben: „Du hast nach Deinen individuellen Bedürfnissen ohne ärmliche Rücksichten eine Gattin gewählt, und auf keinem anderen Wege war es Dir möglich, den Schatz von häuslicher Glückseligkeit zu finden, dessen Du bedarfst. Du bist nicht fähig, als ein isolirtes Wesen bloß für selbstsüchtigen Genuß zu leben. Irgend eine lebhafte Idee, durch die ein berauschendes Gefühl Deiner Überlegenheit bei Dir entsteht, verdrängt zwar zuweilen eine Zeitlang alle persönliche Anhänglichkeit; aber das Bedürfniß zu lieben und geliebt zu werden kehrt bald bei Dir zurück. Ich kenne die aussetzenden Pulse Deiner Freundschaft; aber ich begreife sie, und sie entfernen mich nicht von Dir. Sie sind in Deinem Charakter nothwendig und mit anderen Dingen verbunden, die ich nicht anders wünschte. Mit Deiner Liebe wird es nicht anders sein; und Deiner Gattin, wenn ich vertraut genug mit ihr wäre, um eine solche Äußerung wagen zu dürfen, würde ich nichts besseres an ihrem Vermählungstage wünschen können, als das Talent, Dich in solchen Momenten nicht zu verkennen. 
Lebe wohl und such’s Deiner Gattin anschaulich zu machen, was ich ihr sein muß, sobald ich Deinen Namen führt.“
Auch auf Lotte, der Schiller Körners Brief zu lesen gegeben, machte der Brief einen bedeutenden Eindruck. Sie schrieb ihrem Bräutigam darüber am 2. Febr. (Fielitz, Nr. 303). „Ich glaube nicht mein Geliebter, daß der Fall oft kommen könnte, daß ich dich verkennen sollte. Ich habe schon oft seine (Körners) Bemerkungen auch bei Dir gemacht, und finde diese Züge so in Dein Wesen verflochten, daß sie unzertrennlich mit Dir sind; wenn Du auch Fehler hättest würde ich nachsichtig sein. Es ist nicht Liebe, wenn man sich nur ein schönes Bild in der Seele entwirft, und diesen selbst alle vollkommenheiten giebt, sondern dies ist liebe, die Menschen so zu lieben wie wir sie finden, und haben die Schwachheiten, sie aufzunehmen mit einem Herzen voll Liebe. – – Wenn Du Körner schreibst, so sag ihm tausend schönes von mir; daß er mir ein gar lieber Freund wäre.“