Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner. 

Jena, den 26. März [Freitag] 1790.

Wie hat mich Dein Gedicht überrascht, der Entschluß wie die Ausführung, die sehr glücklich ausgefallen ist. Wenn irgend die Gattung der Epistel unter die Gedichte gerechnet werden kann, und dieß ist mein Glaube, so ist diese Epistel gewiß eins. Auch in Prosa würde sie Gedicht bleiben, und dieß ist die eigentliche Probe, denn der Vers macht kein Gedicht. Deine Versifikation ist fließend und einzelne Stellen könnten nicht leichter und schöner eingekleidet seyn. Aber du hast Dir Deinen ersten Versuch schwer gemacht durch den Stoff, denn der ist im Grunde doch philosophisch, oder machte Dir wenigstens philosophische Sprache nöthig, und wie schwer sich dergleichen Ideen unter eine poetische Diction schmiegen, habe ich aus vielfacher eigener Erfahrung. Du hast zuweilen den Jamben mit dem Artikel beschlossen und das Substantif worauf er sich bezieht in den folgenden hinübergenommen. Einmal passirt das, aber in zwey aufeinander folgenden Jamben duldet man es nicht. Auch ist es gegen die Harmonie, einen langen Perioden, der durch mehrere Jamben durchlaufft, vorn oder mitten in einem Vers zu beschließen. Man will einen Ruhepunkt und wird ungern mit fortgerissen. Lateinische Wörter wie Cultur fallen in der Poesie etwas widrig auf. Ich sage Dir nichts über die Gedanken selbst, die mir, wie Du gerne glauben wirst, sehr willkommen seyn mußten. Diese Probe Deiner Selbstthätigkeit war mir eine gar angenehme Erscheinung, je weniger ich jetzt erwarten konnte, Dich anders als mit appellationsprojecten beschäftigt zu wissen. 

Ich war diese Tage ganz unleidlich mit Arbeit überhäufft, um mein Collegium auf die nächste Woche zu Ende zu bringen. Meine Heurath machte mich eine Woche versäumen, und in den ersten Monaten hielt ich meine Zeit nicht genug zu Rath, so daß ich mich zu Anfang des Merz noch weit zurücksah. In 5 oder 6 Stunden hoffe ich nun mein Collegium leidlich schließen zu können. In 8 oder 10 Tagen reise ich nach Rudolstadt und werde die Ferien dort zubringen. 

Sage nicht, daß ich ein zu unumschränktes Vertrauen in den C.1 setze. Was Du mir schreibst, ist auch mein Gedanke längst gewesen; ich lasse es gehen, wie es gehen mag; abwarten kann ich es mit Ruhe. Freilich wäre dieß eine Aussicht, unsren alten Wunsch zu realisiren, und einen ziemlichen Grad von Wahrscheinlichkeit hat sie immer. Der C. hat sich auf jeden Fall zu tief eingelassen, um nichts zu leisten. Der Schwierigkeiten sind soviele nicht, da ich in 2 oder 3 Jahren auch ohne seine Protection auf ein solches Etablissement würde losarbeiten können. – Er kann mir meine Wünsche erfüllen, ohne mir gerade etwas zu schenken, oder sich wegen meiner zu compromittiren. – Er kann mir einen guten Platz verschaffen, dem ich gewachsen bin, und ich allein. Besser freilich, wenn er mir meine ganze Zeit und Freiheit lassen kann, und so scheint er jetzt wenigstens im Sinn zu haben. 

Gegenwärtig fehlt es mir sehr an einer angenehmen und befriedigenden Geistesarbeit. Die Memoires, die Collegien, die Beiträge zur Thalia nehmen meine ganze Zeit und mein Kopf ist überladen, ohne Genuß dabey zu haben. Wie sehne ich mich nach einer ruhigen und selbstgewählten Beschäftigung. Aber ich darf mir sobald keine Rechnung darauf machen. Es wird mir aber nicht eher wohl werden, biss ich wieder Verse machen kann. Das epische Gedicht will mir nicht aus dem Kopfe, ich muß einmal dazu Beruf in mir haben. Vor einiger Zeit konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mich in achtzeiligen Stanzen zu versuchen. Ich übersetzte etwas aus der Aeneis, fertig ist aber noch nichts, denn es ist eine verteufelte schwere Aufgabe, diesem Dichter wiederzugeben, was er nothwendig verlieren muß. 

Wie schlecht der Neue deutsche Merkur die Erwartungen erfüllt, wirst Du schon gesehen haben. Ich werde wohl ganz davon zurücktreten, und nun die Thalia ernstlicher wieder vornehmen.

Göthe ist von Weimar weg, und wie er angibt, der verwittw. Herzogin von W. entgegen, die man zu Ende des Merz aus Italien zurück erwartet. Man vermuthet aber stark, daß er nicht mehr zurückkommen werde. Lips2 ist jetzt in Weimar und bleibt auch da. Es ist ein gar interessanter Mensch, das natürlich bidre und schweitzerische von Graf mit mehr Kenntniß und Genie. Ich werde mich näher mit ihm verbinden; meine Frau hat ihm im Zeichnen schon viel zu danken, und er kann ihr noch nützlicher werden. Sein Umgang ist sehr angenehm. – Ich wünschte Du könntest auch von seinen Zeichnungen sehen. – Göthe hat eine Idee zu einem Titel Kupfer für den ersten Theil meiner memoires angegeben, die Lips gezeichnet hat und jetzt eben sticht. Idee und Zeichnung sind ganz vortrefflich3. Zum 2ten Band hat er den Kopf von Bohemund erfunden und äusert betreffend. Du wirst Beides auf Ostern sehen. 

Meine Frau will selbst etwas an Dich beyschließen; meine Schwägerin ist auf einige Tage verreist. 

Lebe wohl und grüße Minna und Dorchen. Auch Kunze, wenn der noch bey Dir ist. 

               Dein 

S.


1) Dalberg, den Coadjutor.
2) Der Kupferstecher. Graff ist der Dresdner Maler.
3) Männer und Frauen überreichen einer Muse Schriften, welche diese einem Genius überliefert. Vgl. II, 201.


Bemerkungen

1 Zu S. 66. Z. 16. Körner hatte am 16. März dem Freunde eine an seine Frau zu ihrem Geburtstage gerichtete Epistel übersandt und ihn um sein Urteil gebeten. Das sehr ansprechende, herzliche Gedicht ist abgedruckt im Archiv f. Littgesch. V. S. 105.
2 Zu S. 67. Z. 3. Auch Schiller hat sich von Fremdwörtern in seinen Gedichten nicht frei gehalten: z. B. Symbol, Phantom, Symmetrie, Instinkt. Aber der Tadel ist berechtigt.
3 Zu S. 68. Z. 5. Das epische Gedicht ist die geplante Fridericiade.