Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Caroline v. Beulwitz. 

Sonnabend, d. 11. Sept. [Sonnabend] 90. 

Liebste, endlich bin ich doch der verdrüßlichen Arbeit los und kann Dir wieder aus meiner Seele etwas sagen. Jetzt erst fühle ich, daß Du schon lange von uns bist; seither warens nur Augenblicke, daß ich außer mir lebte. Die liebe Lolo half mir diese beschwerliche Periode leicht überstehen. Wieviel Freude gibt mir ihre Liebe, ihr freundliches glückliches Daseyn um mich her, das liebliche Spiel ihrer sanften Seele. Wenn Du nun erst wieder um mich selbst und es ununterbrochen bleibst, liebste Seele – ja es werden schöne Tage seyn. Und müssen wir denn erst den Zufall dazu abwarten, an den ich noch immer keinen rechten Glauben habe? Lass uns die Gegenwart ergreifen, sie ist ja in unsrer Macht. Du bist über diesen Punkt vielleicht freyer als Du selbst denkst. Mache jezt sogleich den Versuch mit dem U – So wie Du es jetzt anfängst, wird er sich gewöhnen. Von gestern über 14 Tage sind meine Collegien aus, aber ich kann Rest den 11. oder 12. October abkommen. Du könntest in 8 Tagen hier seyn und bleiben bis auf den 3. oder 4ten October. Ich lebe hier doch weit besser mit Dir, als in R. unter den vielen fremden Gesichtern. Wir genießen die letzten schönen Tage des Sommers noch zusammen, Du kannst auch in unserm Hause wohnen. 

Der G. S. ist mir die Antwort auf meinen Brief noch schuldig. Er bekam ihn am letzten Tag seines Aufenthalts in E. und ich fürchte fast, er vergißt über den Zerstreuungen in Frankfurth mir zu antworten. Ich schreibe ihm aber in 14 Tagen wieder, und so will ich überhaupt mit ihm fortfahren. Wie wenig ist dieses freilich gegen den wohlthätigen, lebendigen Umgang! Ich fühle, wie sehr mir mit seinem geistreichen Ideengange geholfen wäre. Manchmal versinkt meine Seele ganz in der Einförmigkeit ihrer Beschäftigungen. Frisch und kräftig wird das innre Leben des Geistes nur durch die Reibung mit andern. Paulus könnte mir viel seyn, wenn er sich selbst mehr angehörte, aber er ist von Geschäften zerstreut und gedrückt wie ich, und mit freiwilliger Kraft sproßt nichts aus seinem Kopfe. Es ist mir aber nicht immer gegeben, erst die Hebamme eines andern zu machen, wenn ich nach einem erfrischenden Umgang schmachte. 

Eine Recension meines Geistersehers in der A. Litt. Zeitung, welche mit Wärme und nicht ohne Geist geschrieben ist, hat mir ihn ordentlich wieder in Erinnerung gebracht, und wenn ich sonst nicht beschäftigt wäre, so könnte ich mit Vergnügen an der Fortsetzung arbeiten. Mein Plan ist ungleich interessanter, als ihn der Verfasser dieser Rec. ahndet, und die folgenden Theile könnten alles das Interesse in sich vereinigen, das dem ersten noch fehlt. 

Es schlägt 9, liebste, der Brief muß auf die Post. Mit dem Boten schreibe ich Dir mehr. Laß mich ja doch in Deinem nächsten Briefe hören, daß Du bald hier seyn wirst. Ich schließe Dich an meine Seele. Lebwohl. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 96. Z. 3. Die verdrüßliche Arbeit ist der dreißigjährige Krieg. 
2 Zu Z. 16. U = Ursus = Beulwitz. 
3 Zu Z. 24. G. S. = GoldSchatz = Dalberg. Schs. Brief an Dalberg ist mir unbekannt. Dalbergs Antwort vom 12. Sept. ist in Wolzogen, Schs. Leben II. 54 abgedruckt. Sie ergiebt, daß Schiller den Coadjutor gefragt hatte, welche Arbeit er ihm jetzt empfehle. Dalberg verweist ihn auf sich selbst, und erst auf Schs. erneute Anfrage erwidert er am 2. Nov.: „Hohes Darstellungs- Bildungs Vermögen ist seltenes Geschenk der Natur. Forschungsgeist ist Werk des Fleißes, kann eher erworben werden.“
„Schiller vereinigt beides, Bildungskraft und das schätzbare Ausdauern des Fleißes. Doch wünsche ich, daß er in ganzer Fülle dasjenige leiste, wirke, was nur er leisten kann, und das ist das Drama.“
4 Zu S. 97. Z. 7. Die Recension in der Litt. Zeit. vom 3. Sept. 1790, abgedruckt bei Braun Sch. u. G. im Urtheile ihrer Zeitgenossen. Schiller I. 266. 
5 Zu Z. 16. Der Brief mit dem Boten ist mir nicht bekannt.