Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner. 

Jena, 21. September [Freitag] 1792.

Wünsche mir Glück! Eben schicke ich den letzten Bogen Manuscript fort. Jetzt bin ich frei, und ich will es für immer bleiben. Keine Arbeit mehr, die mir ein anderer auflegt, oder die einen anderen Ursprung hat als Liebhaberei und Neigung. Ich werde acht oder zehn Tage schlechterdings nichts thun, und sehen, ob die völlige Ruhe des Kopfes, freie Luft, Bewegung und Gesellschaftsgewäsche an meiner Gesundheit nichts verbessern. 

Meine Mutter hat mich zwei Tage früher überrascht, als ich den Briefen von der Solitude nach erwarten konnte1. Die große Reise, schlechte Witterung und Wege haben ihr nichts angehabt. Sie hat sich zwar verändert gegen das, was sie vor zehn Jahren war; aber nach soviel ausgestandenen Krankheiten und Schmerzen sieht sie sehr gesund aus. Es freut mich sehr, daß es sich so gefügt hat, daß ich sie bei mir habe und ihr Freude machen kann. Meine jüngste Schwester, die funfzehn Jahre alt ist, hat sie begleitet. Diese ist gut, und es scheint, daß etwas aus ihr werden könnte. Sie ist noch sehr Kind der Natur, und das ist noch das beste, da sie doch keine vernünftige Bildung hätte erhalten können. 

Die Entwickelung der H.schen Angelegenheit ist mir recht tröstlich. Der unangenehme Eindruck wird sich verlieren, und sie wird sich zuletzt ihrer Freiheit freuen. Jetzt mußt Du durch Beschäftigung ihres Geistes und ihrer Empfindungen das beste thun, und wie ein guter Arzt das Wundfieber mäßigen. Eine vorübergehende, oder noch lieber eine bleibende Herzensangelegenheit sollte jetzt dazwischen treten, oder, wenn das angeht, sollte D. wieder eine Herzogin von Curland finden und in den Wirbel der Gesellschaft gezogen werden. H. hat sich benommen, wie zu erwarten war, ohne Charakter, ohne alle Männlichkeit. Ich bin nicht überrascht und er hat auch bei mir weiter nichts dadurch verloren, denn auf denjenigen Werth, den Grundsätze und Stärke des Geistes geben, mußte man bei ihm Verzicht thun. Er bleibt, was er ist, ein raisonnirender Weichling und ein gutmüthiger Egoist. 

Sage mir nun, woran ich mich jetzt zuerst machen soll? Mir ist ordentlich bange bei meiner wiedererlangten Geistesfreiheit. Vor einem größeren Ganzen fürchte ich mich noch; daher zweifle ich, ob der Wallenstein sogleich daran kommen wird. Ich hätte Lust mir durch ein Gedicht die Musen wieder zu versöhnen, die ich durch den Kalender gröblich beleidigt habe. Aber welches? Auch darüber bin ich unschlüssig. 

Gebe der Himmel, daß aus Zerbst gute Zeitungen kommen, und daß Dein Conrector einen würdigen Begriff mit dem Worte trefflich möge verbunden haben. Ich bin sehr begierig auf Deine nächsten Briefe. Das versprochene Buch sind meine prosaischen Schriften. Ich erwarte sie alle Tage von Rudolstadt, wo sie gebunden werden. 

Dorchen sage recht viel Schönes für ihr liebes Geschenk, das ich zwar noch nicht habe, aber doch errathe. Es freut mich, etwas von ihrer Hand nahe um mich zu haben, und es freut mich doppelt, daß es gerade das ist. 

Brühl war hier; aber ungeachtet sie auch mit hier war (und wahrscheinlich bloß meinetwegen, weil sie sonst niemand sah), so habe ich sie doch nicht gesehen. Man bat mich zu ihm, ich war aber nicht wohl und bat ihn zu mir. Er ist, wie du sagst, eine ehrliche Haut. Ich mag ihn wohl leiden. Eingelassen habe ich mich aber nicht. 

               Dein 

S.


1) Vgl. Schillers Beziehungen S. 101. Die Mutter war mit der jüngsten Tochter Nanette über Nürnberg angekommen.


Bemerkungen

1 Zu S. 213. Z. 17. Christiane (Nane oder Nanette) Schiller war geboren den 8. Sept. 1777. 
2 Zu Z. 22. Die Hubersche Angelegenheit ist gemeint. 
3 Zu Z. 24. Bei dem Pronomen sie schwebt Schiller Dora vor.
4 Zu S. 214. Z. 14. Körner hatte in X. geschrieben, ein Universitätsbekannter, der in Zerbst Conrector sei, habe geschrieben, Körner sie im Testament seines Onkels Ayrer trefflich bedacht. Die Hoffnung wurde getäuscht, statt gehoffter 12000 Thlr. erhielt Körner 3000 Thlr. Später freilich, im Jahre 1809, erbte er von der Tante noch c. 18000 Thlr. Vgl. Archiv f. Littgesch. X. 582. 
5 Zu Z. 19. Dora hatte am 2. August an Charlotte Schiller geschrieben: „Ich arbeite jetzt etwas für Schiller; ich denke, es soll ihm Freude machen. Was es ist, sage ich nicht, denn es ist ein Geheimniß, und Du liebst die Geheimnisse nicht.“ Und wieder erwähnt sie das Geheimnis in weiteren Briefen vom 27. August u. 21. Sept. Es war ein Bild Körners. Vgl. Urlichs, Charl. v. Schiller III. 5-9. 
6 Zu Z. 23. Ein Graf Brühl hatte von Schillers Karlsbader Bekannten, dem Grafen Hofmannseck erfahren, daß Schiller sich für Magnetismus interessiere, schrieb am 22. August an ihn (Urlichs, Brfe. an Sch. S. 145) und besuchte ihn in Jena. Körner hatte im Brief vom 31. August auch bereits Brühls bevorstehenden Besuch in Weimar angekündigt und empfohlen, ihn und seine Frau wenigstens anzuhören.