Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena d. 5. May [Sonntag] 93. 

Ich habe Dich lange auf Nachrichten von mir warten lassen und auch heute erhältst Du nur einige Zeilen. Mein Uebel hat mir in diesem unfreundlichen April sehr hart zugesetzt, und alle Lust am Denken und am Schreiben verdorben. Gerne hätte ich unsern ästhetischen Briefwechsel wieder fortgesetzt, aber einige dringendere Arbeiten müssen noch vorher expedirt seyn. Darunter gehört vorzüglich die Revision meiner Gedichte, von denen ich vorjetzt einige zum Abdruck bereit halten muß. Ich fürchte, die Correctur wird sehr streng und zeitverderbend für mich seyn; denn schon die Götter Griechenlands, welches Gedicht beinahe die meiste Correction hat, kosten mir unsägliche Arbeit, da ich kaum mit 15 Strophen darin zufrieden bin. Noch weit mehr Arbeit werden mir die Künstler machen, und an die neuen in petto will ich noch gar nicht denken. Meine Sammlung wird, 3 neue Gedichte mit eingerechnet, nicht über 20 Stücke enthalten. Suche sie doch aus. Ich möchte gerne wissen, ob wir in der Wahl übereinstimmen. 

Ich lasse sie hier drucken, weil mir alles daran ligt, die Correctur selbst zu haben1. Die Schwärze abgerechnet, für die vielleicht sich noch Rath schaffen läßt, wird die Schrift und die Behandlung der Didotschen nicht viel nachgeben. Ich kann es nicht gut leiden, daß Verse, auch wenn sie noch so lang sind, gebrochen werden; und um dieß zu verhüten lasse ich das größte Octav auf Schweizerpapier nehmen. Mehr als sechzehn Zeilen kommen nicht auf eine Seite zu stehen. Schon dieses macht die Edition splendider. Es ist mir alles unumschränkt überlassen, und da das ganze ohnehin nicht über 9 oder 10 Bogen beträgt, so bleibt das Buch immer wohlfeil, auch wenn das Papier noch so hoch zu stehen kommt. 

Über meine Schönheitstheorie habe ich unterdessen wichtige Aufschlüsse erhalten, und ein bejahendes objectives Merkmal der Freiheit in der Erscheinung ist nun gefunden. Ich habe zugleich meinen Kreis erweitert, und meine Ideen auch an der Musik geprüft, soweit ich mit Sulzern und Kirchbergern2 kommen konnte. Darüber erwarte ich von Dir noch mehr Licht; aber das wenige was mir jetzt aufgegangen ist, gibt meiner Theorie eine herrliche Bestätigung. Solltest Du ein Buch über Musik für mich wissen, so melde mirs doch. 

Ich muß schließen; wenn die Herzogin noch bei euch ist, so empfiehl mich ihrem Andenken. Sie war vor einigen Jahren so höflich, mich grüßen zu lassen. Herzliche Grüße an M u. D. 

               Dein 

S.


1) Die Ausgabe von Schillers Gedichten kam damals nicht zu Stande, obgleich der Verleger Crusius bereit war.
2) Gemeint ist Joh. Phil. Kirnberger, geb. 1721, gest. 1783, dessen „Kunst des reinen Satzes in der Musik“ 1771-79 in Berlin erschienen war.


Bemerkungen

S. 312. Z. 3. lies: Musick.
1 Zu S. 311. Z. 12. Die Abänderung der Götter Griechenlands gehört also in diese Zeit. Die Ausgabe der Gedichte erschien erst 1800.