Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Charlotte von Kalb. 

Ludwigsburg in Schwaben, d. 1. Octobr. [Dienstag] 93. 

Die vielen Zerstreuungen, in denen ich bisher gelebt habe, und wozu noch die gewohnten Anfälle meines alten Uebels kamen, haben mich verhindert, Ihnen früher zu schreiben. Das Wiedersehen der Meinigen und so vieler Jugendfreunde, die, wenn auch sonst nichts anders, die lebhafte Erinnerung an die Vergangenheit einem theuer macht, hat mich in diesen 2 Monaten sehr angenehm beschäftigt, und vor 14 Tagen hat die Niederkunft meiner Frau mit einem gesunden und muntern Sohn meiner Freude die Krone aufgesetzt. Mutter und Kind befinden sich beide sehr wohl, und ich bin wenigstens so glücklich, jetzt der einzige Kranke in meinem Hause zu seyn. 

Die Schwierigkeit gut und angenehm zu wohnen (worauf ich jetzt, da ich fast immer zu Hause leben muß, am meisten zu sehen habe) hat mich veranlaßt Heilbronn zu verlassen, und Ludwigsburg zu meinem Wohnort zu machen, wo ich sehr gut logiert, und meinen Verwandten und Freunden ungleich näher bin. Ich finde aus eben dem Grunde hier auch weit mehr Unterhaltung, als in Heilbronn, und verspreche mir einen leichten und erträglichen Winter. 

Ich bin während dieser Zeit in der bewußten Sache nicht ganz unthätig gewesen, und wünsche nur, daß ich sagen könnte, mit besserm Erfolg als das vorige mal. Einen jungen Mann habe ich ausgefunden, der eben jetzt seine theologischen Studien in Tübingen vollendet hat, und dessen Kenntnissen in Sprachen und den zum Hofmeister erforderlichen Fächern alle die ich darüber befragt habe, ein gutes Zeugniß ertheilen. Er versteht und spricht auch das Französische und ist (ich weiß nicht, ob ich dies zu seiner Empfehlung oder zu seinem Nachtheile anführe) nicht ohne poetisches Talent, wovon Sie in dem Schwäbischen Musenalmanach vom Jahr 1794 Proben finden werden. Er heißt Hölderlin und ist Magister der Philosophie. Ich habe ihn persönlich kennen lernen und glaube, daß Ihnen sein Aeußeres sehr wohl gefallen wird. Auch zeigt er vielen Anstand und Artigkeit. Seinen Sitten giebt man ein gutes Zeugniß; doch völlig gesetzt scheint er noch nicht, und viele Gründlichkeit erwarte ich weder von seinem Wißen noch von seinem Betragen. Ich könnte ihm vielleicht hierin Unrecht thun, weil ich dieses Urtheil bloß auf die Bekanntschaft einer halben Stunde und eigentlich bloß auf seinen Anblick und Vortrag gründe; ich will ihn aber lieber härter als nachsichtiger beurtheilen, daß, wenn Ihre Erwartung ja getäuscht werden sollte, dieß zu seinem Vortheil geschehe. 

Mit den Bedingungen, die Sie ihm anbieten werden, ist er vollkommen zufrieden, und die liberale Behandlung, …


Bemerkungen

Der Rest des Briefes ist abgeschnitten.
1 Zu S. 357. Z. 29. Schs. Rival aus seiner Jugendzeit, Gotthold Stäudlin, hatte sich in dieser Zeit Schiller genähert und ihm am 20. Sept. geschrieben, Hölderlin habe durch Hegel erfahren, daß Schiller einen Hofmeister suche. Hölderlin bitte nun, ihn in Vorschlag zu bringen. Diesmal wurde Schs. Vorschlag angenommen.
2 Zu S. 358. Z. 10. Stäudlin hatte geschrieben: „Für die Reinheit seines Herzens und seiner Sitten und für die Gründlichkeit seiner Kenntnisse bürge ich.“