Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Georg Göschen

Ludwigsburg den 4. Febr. [Dienstag] 94. 

Ich säume nicht Ihnen mein liebster Freund, die Weikardischen Schauspiele zu übersenden, aber ohne irgend eine Veränderung. Es ist eine kitzlichte Sache mit anderer Leute Schriften. Sobald ich darinn korrigire, so drücke ich dadurch demjenigen, was ich unkorrigiert lasse, meinen Stempel auf und erkläre es stillschweigend für gut. Das ist aber nicht immer thunlich, und deßwegen lasse ich mich lieber gar nicht darauf ein. Es würde eine Anmaßung von mir seyn, wenn ich eine Vorrede zu einem Buche schriebe, an dem ich gar keinen Antheil gehabt, und ich würde für die Güte des Produkts einstehen müssen, welches nicht angeht. Alles, was ich, Ihnen zu gefallen, thun kann ist, zuzugeben, daß Sie in einer Vorrede zu diesen Stücken sich in Ihrem Nahmen auf ein Privaturtheil von mir, das ich in einem Briefe an Sie geäußert habe, beziehen, und gleichsam auf Ihre eigene Verantwortung eine Stelle aus meinem Briefe, die ich hier beylegen will, abdrucken. Auf diese Art verschwindet der Schein von Anmaßung, als wollte ich dem deutschen Publikum meinen Geschmack zur Richtschnur vorschreiben. 

Daß mein Brief an Sie verloren gegangen, ist mir sehr ärgerlich; denn schon seit zwei Monaten erwartete ich die bestellten Schriften. Ueber Thomas Jones und Göthes Schriften schicken Sie mir eine Nota, weil diese nicht für mich sind. Alle aber werden auf meine Rechnung gesetzt. Sobald mir irgend eine gute Laune zur Revision sich einstellt, vollende ich Anmuth und Würde. Bisher fehlte es mir ganz an der Stimmung, die zu einem solchen Geschäfte nöthig ist. Unter den praenumeranten zum Wieland notiren Sie mich auch für die Ausgabe im großen Octav. Als Freund vom Hause will ich mir bloß gute Kupferabdrücke dazu ausgebeten haben. Ihren historischen Calender von diesem Jahr wünschte ich doch auch zu lesen. 

Gegen die Mitte Aprils denke ich mich wieder auf die Rückreise zu machen. Alles befindet sich bey mir wohl, und ich bin seit etlichen Wochen auch um vieles erträglicher. Ihre Frau grüßen wir herzlich. 

                Ganz der Ihrige 

Schiller 

„… Hier folgen endlich auch die Stücke zurück, über welche Sie mein Urtheil wissen wollten. Ich kann mich bloß des Eindrucks überhaupt erinnern, den sie bey einer etwas flüchtigen Durchlesung auf mich machten. Sie sind nicht ohne Interesse geschrieben und verrathen keine ungeübte Hand. Sowohl durch Erfindung als Dialog zeichnen sie sich sehr zu ihrem Vortheil vor dem andern größten Theil der dramatischen Produkte aus, womit wir jede Messe heimgesucht werden. Der Dialog besonders hat viel Leichtigkeit und Lebhaftigkeit und er wird sie noch mehr haben, wenn die geschickte Verfasserinn sich zu einigen Aufopferungen verstehen will. Der gute Geschmack zeigt sich oft mehr durch das was verschwiegen, als durch das, was gesagt wird. Manche Scenen dürfen blos verlieren und nichts empfangen, um interessant zu seyn; und das ist soviel ich weiß mehr, als man von den mehresten Produkten der dramatischen Muse in jetziger Zeit rühmen kann. Es beweist, daß es der Verfasserinn nur noch an einigen Eigenschaften fehlte, die sich durch Studium erwerben lassen, nicht aber an solchen, die kein Fleiß und keine Kunst demjenigen ersetzen kann, dem die Natur sie verweigert. Und so, glaube ich, wird es blos auf etwas mehr Strenge gegen sich selbst und auf Berichtigung ihres Geschmacks an guten Mustern bey der Verfasserinn ankommen, um uns künftig mit sehr glücklichen Produkten in diesem Fache zu beschenken .. u. s. f.“


Bemerkungen

1 Zu S. 423. Z. 9. Das sind also die Schauspiele, von denen in Nr. 669 die Rede war, und wir erfahren den Namen der Verfasserin. In Gödekes Grundriß, erste Aufl. II. S. 1080 stehen einige Schauspiele von Sophie von Reitzenstein geb. M. S. Weikard. 
2 Zu Z. 32. Die Stelle weiß ich nicht recht mit der Thatsache zu reimen, daß ein Abdruck Göschens von Anmuth u. Würde mit der Jahreszahl 1793 vorliegt, und zwar eben außer dem Abzug, den Schiller in 150 Exemplaren hatte fertigen lassen, der die Paginierung aus der Thalia beibehalten hatte. Und nun will Schiller erst die Revision Anfang Februar 1794 vollenden? Vgl. Nr. 664.
3 Zu S. 424. Z. 24. Vgl. die Tabula votiva: der Meister und zu Nr. 365.