Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner. 

Jena, den 12. Sept. [Freitag] 94.

Dein Brief hat mir große Freude gemacht, weil er mir bestätigte, wie gut wir einander verstehen, und wie nothwendig wir uns sind. Nein, Dir kann es eben so wenig als mir begegnen, daß heterogener Einfluß von außen die reine Form Deines Wesens verderbt; denn unsrer beider Seele hat ein Vermögen, sich keusch zu bewahren, allen fremden Stoff auszuwerfen und über jede unheilige Berührung zu siegen. 

Ich wollte, daß Du Dein Ideal der Schriftstellerey bald möglichst hinwerfen möchtest. Herrlich wäre es, wenn wir unsre Horen damit eröfnen könnten. Auch halte ich diese Arbeit für besonders geschickt, Dir Muth einzuflößen, Deine Kraft ins Spiel zu setzen, und gewißermaaßen Dein schriftstellerisches Glück zu entscheiden. Kannst Du, so gehe jetzt gleich daran; Du wirst dabey recht gut fortgefahren können, Materialien für die Musikalische Abhandlung zu sammeln. Jacobi aus Düßeldorf hat sich nun auch erklärt, an den Horen zu arbeiten. Von Humboldts Bruder1, der preußischer Oberbergmeister ist, haben wir über Philosophie des Naturreichs sehr gute Aufsätze zu erwarten. Er ist jetzt in Deutschland gewiß der Vorzüglichste in diesem Fache, und übertrifft an Kopf vielleicht noch seinen Bruder, der gewiß sehr vorzüglich ist. 

Ich bearbeite jetzt meine Correspondenz mit d. Prinzen von A..2, die ich Dir gewiß binnen 3 Wochen schicke. Sie wird unter dem Titel: Ueber die aesthetische Erziehung des Menschen: ein Ganzes ausmachen, und also von meiner eigentlichen Theorie des Schönen unabhängig seyn, obgleich sie sehr gut dazu vorbereiten kann. Sie macht mir aufs neu viel Freude, und ich suche ihr alle nur mögliche Vollkommenheit zu geben. - 

Daneben arbeite ich an einem Aufsatz über Natur und Naivheit, der mich immer mehr fesselt, und mir vorzüglich zu gelingen scheint. Ich schreibe hier mehr aus dem Herzen und mit Liebe. Es ist gleichsam eine Brücke zu der poetischen production. - Ramdohr war dieser Tage hier, und erzählte mir, daß er Deine Bekanntschaft gemacht habe. Was hältst Du von ihm? Ich muß sagen, daß mir seine Bekanntschaft gerade jetzt, wo ich mich mit Ideen über die Kunst abgebe, nicht ganz unintereßant gewesen ist. Freilich kommt es mir vor, als wären die guten Ideen, die er auskramt, nicht auf seinem Boden gewachsen, und der anmaßende Ton, mit dem er aburtheilt, mißfällt mir nicht wenig. Dennoch sind selbst Menschen seiner Art so selten, daß man mit ihnen vorlieb nehmen muß. Er hat viele Kunstwerke gesehen und seine Ideen berühren mehr die Erfahrung, ohne sich zu der Speculation zu erheben. Er hat also etwas, was mir abgeht, ob ich gleich zweifle, daß er das, was ich ihm etwa geben könnte, zu empfangen im Stand ist. - 

Ich werde künftige Woche auf 14 Tage nach Weimar abreisen und bei Göthe wohnen. Er hat mir so sehr zugeredet, daß ich mich nicht wohl weigern konnte, da ich alle mögliche Freiheit und Bequemlichkeit bey ihm finden soll. Unsere nähere Berührung wird für uns beide entscheidende Folgen haben und ich freue mich innig darauf. Der Hof ist nach Eisenach abgereist, und Göthe hat sich los gemacht, so daß wir nun ganz unseren Ideen leben können. Ich werde Dir fleißig schreiben.

Seine Iphigenia ist ins englische übersetzt, und soweit ich urtheilen kann, so glücklich, daß man ein Original zu lesen glaubt, und mit reiner Beybehaltung des ganzen Göthischen Charakters.

Auf Deine weitere Erklärung über meine poetische Sendung und meinen dramatischen Beruf warte ich mit Ungeduld. - Du meynst, daß ich den Wallenstein zu sehr mit dem Verstand und zu wenig mit Begeisterung angreife. Aber das gilt nur von dem Plan, der nicht streng genug berechnet werden kann. Ausführen muß ihn die Imagination und die augenblickliche Empfindung. Dieß ist es aber, wofür ich fürchte, daß mich die Einbildungskraft, wenn ihr Reich kommt, verlaßen werde. Lebewohl. Von meiner kleinen Familie in Rudolstadt habe ich gute Nachricht und mit meiner Gesundheit gehts erträglich. - An Minna und Dorchen meinen herzlichen Gruß. Solltest Du jetzt, nachdem Du das Graffische Original hast, Dorchens Copie meines Bildes weggeben, so will ich eine Bitte darum eingelegt haben. 

               Adieu. Dein 

Sch.


1) Alexander von Humboldt. ­
2) Augustenburg. ­


Bemerkungen

1 Zu S. 15. Z. 10. Vgl. zu Nr. 735. 
2 Zu Z. 17. Vgl. zu Nr. 742. 
3 Zu Z. 18. Alexander von Humboldt lieferte für die Horen (1785, V.) nur einen Aufsatz: Die Lebenskraft oder der Rhodische Genius.
4 Zu S. 16. Z. 3. Vgl. Nr. 742. Körner erwiderte, daß er Ramdohr vor 18 Jahren in Göttingen ziemlich genau gekannt habe: „Viel erwarte ich nicht von ihm.“ Über Ramdohr vgl. auch die Allgem. Deutsche Biogr. 
5 Zu Z. 24. Vgl. zu Nr. 741. Zu Z. 29. Vgl. X.
6 Zu S. 17. Z. 4. Körner hatte, nachdem Graffs Porträt Schs. von Frauenholz gestochen worden war, das Original erworben. Jetzt befindet es sich im Körner-Museum zu Dresden.