Friedrich SchillerFriedrich Schiller

An Wolfgang von Goethe

 

Jena den 28. Oktober 1794. 

  Daß Sie mit meinen Ideen einstimmig und mit der Ausführung derselben zufrieden sind, erfreut mich nicht wenig, und dient mir auf dem Wege, den ich betreten habe, zu einer sehr nöthigen Ermunterung. Zwar sollten Dinge, die sich im Felde der bloßen Vernunft ausmachen lassen, oder sich doch dafür ausgeben, fest genug auf innern und objectiven Gründen ruhen und das Criterium der Wahrheit in sich selber tragen; aber eine solche Philosophie giebt es noch nicht, und die meinige ist noch weit davon entfernt. Endlich beruht doch die Hauptsache auf dem Zeugnisse der Empfindung, und bedarf also einer subjectiven Sanction, die nur die Beistimmung unbefangener Gemüther ihr verschaffen kann. Meyers Stimme ist mir hier bedeutend und schätzbar, und tröstet mich über den Widerspruch Herders, der mir meinen Kantischen Glauben, wie es scheint, nicht verzeihen kann. Ich erwarte auch von den Gegnern der neuen Philosophie die Duldung nicht, die man einem jeden andern System, von dem man sich nicht besser überzeugt hätte, sonst widerfahren lassen möchte; denn die Kantische Philosophie übt in den Hauptpunkten selbst keine Duldung aus, und trägt einen viel zu rigoristischen Charakter, als daß eine Accomodation mit ihr möglich wäre. Aber dieß macht ihr in meinen Augen Ehre, denn es beweist, wie wenig sie die Willkür vertragen kann. Eine solche Philosophie will daher auch nicht mit bloßem Kopfschütteln abgefertigt sein. Im offenen, hellen und zugänglichen Feld der Untersuchung erbaut sie ihr System, sucht nie den Schatten und reservirt dem Privatgefühl nichts, aber so, wie sie ihre Nachbarn behandelt, will sie wieder behandelt sein, und es ist ihr zu verzeihen, wenn sie nichts als Beweisgründe achtet. Es erschreckt mich gar nicht, zu denken, daß das Gesetz der Veränderung, vor welchem kein menschliches und kein göttliches Werk Gnade findet, auch die Form dieser Philosophie, so wie jede andere, zerstören wird; aber die Fundamente derselben1 werden dieß Schicksal nicht zu fürchten haben, denn so alt das Menschengeschlecht ist, und so lange es eine Vernunft giebt, hat man sie stillschweigend anerkannt, und im Ganzen darnach gehandelt.
  Mit der Philosophie unsers Freundes Fichte dürfte es nicht diese Bewandtniß haben. Schon regen sich starke Gegner in seiner eignen Gemeinde, die es nächstens laut sagen werden, daß alles auf einen subjectiven Spinozismus hinausläuft. Er hat einen seiner alten akademischen Freunde, einen gewissen Weißhuhn, veranlaßt hieher zu ziehen, wahrscheinlich in der Meinung, sein eigenes Reich durch ihn auszubreiten. Dieser aber, nach allem was ich von ihm höre, ein trefflicher philosophischer Kopf, glaubt schon ein Loch in sein System gemacht zu haben und wird gegen ihn schreiben. Nach den mündlichen Aeußerungen Fichte’s, denn in seinem Buch war noch nicht davon die Rede, ist das Ich auch durch seine Vorstellungen erschaffend, und alle Realität ist nur in dem Ich. Die Welt ist ihm nur ein Ball, den das Ich geworfen hat und den es bei der Reflexion wieder fängt!! Sonach hätte er seine Gottheit wirklich declarirt, wie wir neulich erwarteten.
  Für die Elegien danken wir Ihnen alle sehr. Es herrscht darin eine Wärme, eine Zartheit und ein ächter körnigter Dichtergeist, der einem herrlich wohlthut unter den Geburten der jetzigen Dichterwelt. Es ist eine wahre Geistererscheinung des guten poetischen Genius. Einige kleine Züge habe ich ungern darin vermißt, doch begreife ich, daß sie aufgeopfert werden mußten. Ueber einige Stellen bin ich im Zweifel, den ich bei der Zurücksendung bemerken will.
  Da Sie mich auffordern, Ihnen zu sagen, was ich für die ersten Stücke noch von Ihrer Hand wünsche, so erinnere ich Sie an Ihre Idee, die Geschichte des ehrlichen Procurators aus dem Boccaz zu bearbeiten. Wie ich schon an sich selbst der Darstellung vor der Untersuchung den Vorzug gebe, so bin ich hier um so mehr der Meinung, weil in den drei ersten Stücken der Horen schon etwas zu viel philosophirt werden dürfte, und an poetischen Aufsätzen Mangel ist. Wäre dieser Umstand nicht, so würde ich Sie an den Aufsatz über Landschaftmalerei erinnern. Nach den jetzigen Arrangements würde zu Anfang des Januars das dritte Stück der Horen abgeschickt werden müssen. Rechne ich nun, daß in dem ersten Stück Ihre Elegien und die erste Epistel, in dem zweiten die zweite Epistel und was Sie etwa diese Woche noch schicken, und in dem dritten wieder eine Epistel und die Geschichte aus dem Boccaz von Ihnen erscheint, so ist jedem dieser drei Stücke sein Werth schon gewiß.
  Ihr gütiges Anerbieten, die Epigramme betreffend, ist das vortheilhafteste für den Almanach. Auf welche Art man es anzufangen hat, um sie nicht zu trennen, darüber wird sich noch sprechen lassen. Vielleicht ginge es doch an, mehrere Lieferungen daraus2 zu machen, davon jede doch unabhängig von der andern bestehen könnte.
  Daß Professor Meyer wieder in Weimar ist, erfreut mich zu hören, und ich bitte Sie, uns recht bald mit einander3 in Bekanntschaft zu bringen. Vielleicht entschließt er sich zu einer kleinen Excursion hieher, und damit diese auch für den K ü n s t l e r nicht ganz zwecklos sei, so habe ich ihm eine Büste von einem deutschen Bildhauer aufzuweisen, die, wie ich sagen zu können glaube, das Auge des ächten Kunstrichters nicht zu fürchten hat. Vielleicht entschließt sich Herr Meyer, gleich diesen Winter etwas für die Horen aufzusetzen.
  An die Maltheser gehe ich gewiß, sobald ich meine Briefe, von denen Sie nur den dritten Theil gelesen, und noch einen kleinen Versuch über das Naive vollendet haben werde; dieß dürfte aber den Rest dieses Jahrs noch hinwegnehmen. Für den Geburtstag der Herzogin kann ich also dieses Stück nicht versprechen, aber mit Ende des Winters denke ich wohl damit fertig zu sein. Ich spreche hier wie ein gesunder und rüstiger Mensch, der über seine Zeit zu gebieten hat; aber bei der Ausführung wird mich das Nicht-Ich schon erinnern.
  Erhalten Sie uns Ihr gütiges Andenken. Sie leben in dem unsrigen.

Schiller

 


 

1 desselben 1.
2 davon.
3 mit einander] d.

 


 

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