Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena den 7. Nov. [Freitag] 94. 

Ich habe mit dem heutigen Posttage auf die Retour meines Mscrpts, das ich am 29sten 8br an Dich abschickte gerechnet und muß Dich dringend bitten, wenn Du es noch nicht auf die Post gegeben hast, es sogleich zu thun. Cotta besteht darauf, daß wir die Herausgabe mit dem neuen Jahr beginnen und so ist denn die höchste Zeit, weil ich es hier noch im Ausschuß muß circuliren lassen, und der Weg von hier nach Tübingen auch 10 Tage wegnimmt. 

Humboldt hat mich Deinen Brief an ihn lesen lassen, der mich sehr freute, weil Du ihm über seinen Styl sehr viel Wahres sagst. Ich fürchte wirklich, er hat zum Schriftsteller kein rechtes Talent, und er wird diesen Mangel durch Kunst nicht viel verbessern. Bey Dir ist die Größe der Foderung, die Du an Dich machst, Schuld, daß Du sie weniger erreichst; bey ihm ist die Qualität des Ideals, das er sich vorsetzt, fehlerhaft. Daher kann Dir, aber nicht leicht ihm geholfen werden. 

Göthe war wieder eine Zeitlang mit Meyern hier, wodurch unsere schriftliche Unterhaltung unterbrochen worden ist. Er ist jetzt beschäftigt, eine zusammenhängende Suite von Erzählungen im Geschmack des Decameron des Boccaz auszuarbeiten, welche für die Horen bestimmt ist1. Sein Mscrpt über das Schöne sende mir doch mit Gelegenheit zurück. 

Ich bin sehr begierig zu hören, was Du von dem ersten Transport meiner Briefe urtheilst. Göthen haben sie sehr gefaßt, und ergriffen. Herder abhorriert sie als Kantische Sünden und schmollt ordentlich deßwegen mit mir. Ich lege Dir ein Paar von Göthens Briefen und auch ein Billet von Herder bey, woraus Du das Weitere ersehen kannst.

Daß es mit Deinen Arbeiten für die Horen so langsam geht, ist mir sehr leid, nicht sowohl wegen der Horen (weil die 2 ersten Stücke schon besetzt werden können), sondern wegen Dir selbst. Hoffentlich aber bescherst Du mir zu Weihnachten etwas. Aus einem Briefe von Garve, den ich beylege, siehst Du, daß Du seine Concurrenz in dem Aufsatze über Schriftstellerei (auch wenn er über diese Materie schreiben sollte) nicht zu fürchten hast. Adieu. 

Sch. 

Schlegels Aufsatz wird in dem letzten Stücke der Thalia noch Platz finden2.


1) Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten.
2) Auch dort hat der Aufsatz keine Stelle gefunden. Schiller gab ihn an Biester ab, vgl. 3, 225.


Bemerkungen

1 Zu S. 54. Z. 4. Vgl. Nr. 765. 
2 Zu Z. 6. Vgl. Cotta an Sch. vom 21. Okt. 
3 Zu Z. 11. Körners Brief an Humboldt ist nicht bekannt, aber Humboldts Antwort vom 10. Dez. 1794. (Vgl. Ansichten über Ästhetik u. Litteratur von Wilhelm von Humboldt. Seine Briefe an Christian Gottfried Körner. Herausgegeben von F. Jonas. Berlin 1880.) 
4 Zu Z. 19. Goethe und Meyer waren am 2. Nov. nach Jena gekommen. 
5 Zu Z. 23. Vgl. zu Nr. 756. 
6 Zu Z. 27. Vgl. zu Nr. 764.
7 Zu S. 55. Z. 3. Zu Garves Brief vgl. zu Nr. 752. 
8 Zu Z. 8. Friedrich Schlegels Aufsatz trat Sch. an Biester ab. Vgl. Nr. 787.