Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena den 10. Nov. [Montag] 94. 

Was Du über meine Briefe sagst, freut mich sehr, und ich vermuthete mir auch diese Wirkung. Daß ich viele Kantische Ideen postulieren mußte, ohne den Beweis förmlich mitzugeben, war unvermeidlich, wenn eine solche Materie, die im Grunde doch den ganzen Menschen umfaßt, mit dieser Kürze behandelt werden sollte. Der Leser soll denken, das kann ihm bey Philosophischen Materien nie erspart werden; und wenn er nicht in dem Context des Ganzen den Schlüssel zu den schwürigen Stellen findet, so kann ihm nicht geholfen werden. Willkührlich glaube ich nichts aufgestellt zu haben; denn der Aufsatz ist aus Einem Stücke geschnitten. Eins steht für alles und alles steht für Eins. Uebrigens beschäftigen sich die folgenden Briefe mit nichts anderm, als mit der weiteren Ausführung und Anwendung der hier aufgestellten Sätze. 

Du hast mich wahrscheinlich nicht recht verstanden, wie ich Dir den Gedanken über Schriftstellerey an die Hand gab, wenn Du glaubst, daß ich Dir diese Materie weggenommen habe. Mir däucht, daß noch alles zu sagen übrig ist, und eine Uebereinstimmung in Principien ist ja eher zu wünschen, als zu fürchten. Desto besser, wenn wir auf Einen Punkt wirken; daß wir nicht von Einerley Punkt ausgehen, bin ich sicher, denn dafür sorgt schon die verschiedene Individualität. – Bey Aufstellung des Schriftstellerischen Ideals würde ich vorzüglich auf das Verhältniß der Objectivitaet und Subjectivitaet Rücksicht nehmen, worauf alles anzukommen scheint. In dem lebendigen Umgange wird alles Objecitve subjectiviert, weil das ganze Individuum hier mitspricht, und auf ein Individuum gewirkt wird. Bei dem Schriftstellerischen Vortrag soll auf die Gattung gewirkt werden, und das muß durch die Gattung geschehen. Es soll aber zugleich auf jedes Individuum, als solches, gewirkt werden, und das muß durch Individualität geschehen. Also ist die Foderung: generalisierte Individualität. Um diese Idee würde ich mich hauptsächlich drehen, wenn ich diese Materie zu behandeln hätte; aber sie ist noch unendlich reicher, wie Du selbst finden wirst. 

Meinen letzten Brief wirst Du haben. Lebewohl u. grüße alles herzlich von mir und meiner Frau. 

            Dein 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 55. Z. 27. Vgl. zu Nr. 735. und Nr. 752.
2 Zu S. 56. Z. 16. Brief Nr. 768.