Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Friedrich von Hoven

Jena den 21 Nov. [Freitag] 94. 

Schon seit dem Sommer habe ich es von Woche zu Woche mir vorgenommen, liebster Freund, Dir zu schrieben, aber über abwechßelnden Unpäßlichkeiten und Geschäften, deren noch nie so viele auf mir lagen, als in dieser Zeit, nie zur Ausführung kommen können. Desto angenehmer überraschte mich Dein und Deiner guten Heinrike liebes Andenken, und herzlich danke ich euch dafür. Die Erinnerung an euch beyde lebt in meinem Herzen, und der vergangene Herbst hat mir die Zeit wieder lebhaft zurückgebracht, die wir voriges Jahr zusammen verlebten. Du weißt, daß ich ein schlechter Briefschreiber bin, aber meine Freunde deßwegen nicht weniger lieb behalte, und in dieser Rücksicht wirst Du mir eine Sünde verzeyhen, die mir schon so oft hat verziehen werden müssen. 

Um den Innhalt Deines Briefes sogleich zu beantworten, bitte ich Dich, mir Dein Mscrpt nur unverzüglich zuzuschicken, sobald es fertig ist. Mit dem Werke in der Hand läßt sich am beßten marchandieren. Weniger als 1 Carolin pro Bogen sollst Du nicht erhalten, aber soviel drüber, als dem BuchhändlerVolke sich nur abzwacken lassen. Dafür, daß es elegant gedruckt wird, will ich sorgen. Du mußt Dich nicht daran stoßen, wenn ich Dir vielleicht einen Juden (einen solchen nehmlich, der wirklich beschnitten ist) zum Verleger aussuche. Es ist wirklich in Strelitz ein solcher, als Buchhändler, aufgestanden, und er hat von mir einen MusenAlmanach im Verlag. Die Sächsischen Juden haben viel Cultur, und bedeuten etwas. Dieser, der sich Michaelis nennt, ist ein junger unternehmender Mann, der Kenntnisse besitzt, in guten Verbindungen steht, und bey dem Herzog von Mecklenburg viel Credit hat. Er hat auch eine Schrift meines Vaters über die Baumzucht im Verlag, welche hier gedruckt wird. Dies würde auch mit deinem Opus der Fall seyn, und ich könnte Dir den Druck selbst dirigieren. 

Vielleicht hat Dir Fama schon gesagt, daß künftiges Jahr ein neues Journal von mir anfangen wird. Es ist das berühmte Weltjournal, wovon wir oft gesprochen haben, und dieses kommt nun wirklich zu Stande. Cotta ist muthig genug es zu verlegen, und die Aspecten sind allerdings äuserst günstig. Ich habe schon 26 Mitarbeiter, worunter die mehrsten bekannte Schriftsteller sind: Göthe, Herder, Engel, Garve, Fichte, Frid. Jacobi, Gleim, Pfeffel, Frid. Schulz, Schütz, Hufeland, Matthison, Schlegel, Genz aus Berlin, der Coadjutor von Mainz u. a. m. sind dabey. Ein engerer Ausschuß von 7 Mitgliedern, worunter Göthe u. Herder sind, wird über die Aufnahme der eingesandten Stücke erkennen. Göthe ist mit ganzer Seele dabey, und er allein wird die 3 ersten Stücke zur Hälfte besetzen. Auch schreibt er mir an meinem Musenalmanach. Ueberhaupt bin ich in diesem Sommer endlich mit Göthen genau zusammen gekommen, und es vergeht keine Woche, daß wir einander nicht sehen oder schreiben. Vor einiger Zeit habe ich mehrere Wochen in W. bey ihm gewohnt, und ihn ganz in seinem Wesen kennen lernen. Er ist ein höchst interessanter Character in jedem Betracht, und seine Sphäre ist so weit ausgebreitet. In Naturhistorischen Dingen ist er treflich bewandert und voll großer Blicke, die auf die Oeconomie des organischen Körpers ein herrliches Licht werfen. Sein Dichtergeist ist noch ganz und gar nicht ausgelöscht, nur hat er sich seit einiger Zeit auf alle Teufeleien eingelassen, davon Du in den ersten Stücken des Journals Proben finden wirst. Ueber die Theorie der Kunst hat er viel gedacht und ist auf einem ganz andern Wege, als ich, zu den nehmlichen Resultaten mit mir gekommen. Gegenwärtig correspondieren wir darüber. Meine Briefe nach Dänemark erscheinen ganz umgearbeitet in diesem Journal. Du wirst Dich darüber freuen, denn sie sind das beßte, was ich in meinem Leben gemacht habe.

Das Journal führt den Nahmen: Die Horen, und jeden Monat erscheint ein Stück. In 7 Wochen wird das erste Stück zu lesen seyn. Vielleicht erhalten wir auch Kant zum Mitarbeiter: ich habe ihn eingeladen. Er hat in der neuen Ausgabe seiner phil. Religionslehre auf den Angriff gar schön geantwortet, den ich in meiner Anmuth und Würde auf ihn gemacht, und dies hat mich in Bekanntschaft mit ihm gesetzt. Seitdem ich wieder in Jena bin, habe ich mich sehr mit Kantischer Philosophie abgegeben, und mich sehr wohl dabey befunden. Fichte interessirt mich auch sehr. Er hat ein neues System in der Philosophie aufgestellt, welches zwar auf das Kantische gebaut ist, und es aufs neue bestätigt, aber doch sehr viel Neues und Großes in der Form hat. Es wird sehr viel Aufsehen und Streit erregen; aber Fichtens überlegenes Genie wird alles zu Boden schlagen, denn nach Kant ist er gewiß der größte Speculative Kopf in diesem Jahrhundert. Vorige Messe hat er 5 Vorlesungen aus einem seiner Collegien drucken lassen, die Du Dir anschaffen mußt. Sie führen den Titel: Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten von Fichte, und enthalten kaum 8 Bogen. 

Denkst Du noch an Deinen Herrn Bechler? Dieß würde ein schöner Beytrag zu den Horen werden können. Vielleicht muntert Dich dieses Journal dazu auf. 

Mit meiner Gesundheit ist es diesen Sommer und Herbst leidlich gegangen, wiewohl von Zeit zu Zeit neue Stöße von meinen Krämpfen kamen. Am Arbeiten hat es mich wenig gehindert; nur die Nächte incommodierte es mich sehr. Meine Frau und der kleine Carlos sind recht wohl auf. Der letzte rückt mit jedem Tag einen Schritt weiter. Seit einigen Monaten geht er und fängt an zu sprechen. Er küßt seiner Pathe die Hände. Grüße Deine liebe Frau herzlich von mir, und gieb ihr einen recht schönen Kuß. Ihr Andenken ist mir unvergeßlich, und in mancher Stunde sehe ich sie vor mir, in ihrer lieben, freundlichen Geschäftigkeit. Auch unsern gemeinschaftlichen Freunden und deiner Familie sage viele Grüße von mir. Meine Frau wird heute an Deine Heinrike schreiben. Lebe recht wohl und behalte lieb Deinen Dir ewig ergebenen 

Schiller. 

Sey so gut, beyliegenden Brief auf die Solitude zu tragen. An Maders Anverwandten will ich denken, sobald sich Gelegenheit zeigt. Empfiehl mich ihm beßtens. 

                 An 
Den Herrn Hofmedikus 
            von Hoven 
          Ludwigsburg.


Bemerkungen

1 Zu S. 67. Z. 17. Es handelt sich um Hovens Schrift: Geschichte eines epidemischen Fiebers etc. Vgl. Hovens Biographie S. 132.
2 Zu S. 68. Z. 4. Vgl. zu Nr. 709. 
3 Zu Z. 21. Hoven hatte in Ludwigsburg einen wunderlichen Theosophen, einen Konditor Bächler, kennen lernen und beschlossen, ihn zum Helden eines Romans zu machen. Schon als Schiller wieder in Schwaben war, hatte Hoven ihm einige fertige Kapitel des Romans vorgelesen. Erschienen ist er aber nie. Vgl. Hovens Selbstbiographie. S. 76. u. 132.
4 Zu S. 70. Z. 6. Der Konsulent Mader in Heutingsheim war ein Freund Hovens. Siehe Hovens Selbstbiogr. S. 112.
Hovens Briefe an Sch. sind zum Teil erhalten. Vgl. Börners Kunst-Auktions-Katalog XLII. Nr. 1052-1055. Meines Wissens ist keiner veröffentlicht.