Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Heinrich Meyer

Jena den 30. Nov. [Sonntag] 1794.

Durch Mittheilung Ihrer Papiere haben Sie mich mein hochgeschätzter Freund recht sehr verpflichtet. Es ist gar keine Frage, daß diese Gedanken über den Gang der Kunst im Allgemeinen Jeden, der über diese Materie denken mag, sehr aufmerksam machen und zu weiterem Nachdenken einladen müssen. Auch haben sie schon in ihrer jetzigen Gestalt alle die Klarheit, die bei einer Materie, wo so viel auf unmittelbare Anschauung ankommt, möglich ist. Unter allen unbeschreiblichen Dingen ist das unbeschreiblichste die Schönheit und ihr Effekt, und hier muß immer auf die Einbildungskraft des Lesers gerechnet werden. Nach richtigem Ueberlegen, wie etwa die Form einzurichten seyn möchte, finde ich, daß die einfachste wohl auch die passendste seyn möchte. Diese ist die aphoristische, wo kurze Sätze aneinander gereyhet werden, wie Sie zum Theil schon in dem gegenwärtigen beobachtet haben. Man gewinnt durch diese Form, daß die einzelnen Sätze, eben weil sie so einzeln und rund dastehen, das Nachdenken mehr auffordern und anspannen, und daß überhaupt die Sache, als solche, reiner aufgefaßt wird. Nur würden in diesem Fall die Lieferungen kleiner seyn müssen, weil man in solcher Form nicht gerne viel auf einmal mit gleicher Aufmerksamkeit ließt. Ich wäre also dafür, das gegenwärtige Manuscript nicht viel mehr zu verändern, als etwa hie und da die Schreibart erfordern dürfte, und dem ersten Abriß einer so schweren Sache selbst seien Härte nicht zu nehmen, die ihm nicht so übel ansteht. Was Sie von Epochen der Kunst sagen, gilt auch von Epochen der Wissenschaft. Die ersten Versuche sind fest und schwer, aber dafür auch bestimmter, und wecken den Verstand mehr zum Nachdenken. Es ist noch ein weiter Weg zu machen, biß man in dieser Materie Lieblichkeit mit Bestimmtheit verknüpfen kann. Finden Sie, daß einzelne Sätze einer größern Erläuterung fähig sind, so ist es gut, sie ihnen zu geben. Nur gegen eine wesentliche und durchgängige Umarbeitung protestire ich, weil ich glaube, daß die Schwierigkeit den Erfolg überstiegen würde. 

Die Sprache ist zwar für eine öffentliche Mittheilung noch nicht rein und correkt genug, aber sie ist kräftig und gediegen und oft sehr ausdrucksvoll. Die meisten Aenderungen würde noch der Periodenbau nöthig haben. Wollen Sie es mir überlassen, so will ich diese kleine Mühe gern übernehmen und, ohne im Innhalt mir die geringste Aenderung zu erlauben, blos dem Ausdurck einige Rundung zu geben suchen. Ich proponiere Ihnen dieses in keiner andern Absicht, als um die Gewalt zu verhindern, die Sie vielleicht selbst an dem Manuscript ausüben möchten. Meine Meinung wäre alsdann, es in 3 Lieferungen den Horen einzuverleiben. Könnten wir uns vorher mündlich darüber besprechen, so wäre es wohl gut. Wir würden es miteinander lesen, und so würde sich alles am beßten geben.

Ich erwarte bald mündlich oder schriftlich zu erfahren, was Sie beschlossen haben, und bin mit immerwährender Achtung

         Ihr

ergebenster Freund und Diener 

F. Schiller.


Bemerkungen

1 Meyers Aufsatz Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst erschien im 2. Heft der Horen 1795. Seidel bemerkte dazu in seiner Abschrift, daß der Aufsatz damals um so mehr Aufmerksamkeit erregt haben möge, als man seit Winkelmann in Deutschland nicht mehr gewohnt war, so viel Anschauung und Sinn für das Schöne und Beste mit so viel Sinn für Wissenschaft und geschichtliche Entwicklung verknüpft zu sehen, wie dies bei Meyer der Fall war. Das Weimarer Sonntagsblatt bemerkte, daß das Original unter den Papieren Meyers in der Großherzogl. Bibliothek sich befunden habe. Mir hat H. nicht vorgelegen.