Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner 

J. den 19. Dec. [Freitag] 94. 

Ich sende Dir hier eine Partie Avertissements. Suche sie zu zerstreuen, wo es am besten angelegt ist. Mache Geßlern zu einem Deiner Commissionairs, da seine Verbindungen uns zu statten kommen können. Es wird wohl nicht angehen, daß ich Dir die Fortsetzung meiner ästhet. Briefe noch in Mscrpt schicke. Ich werde erst in 8 Tagen fertig und in 3 Wochen muß Cotta sie haben. Ich werde in dieser Zweyten Lieferung deinen Vorwurf, daß ich Kantisiere, leider noch mehr verdienen; aber das war nicht anders zu machen, sobald die letzten Gründe entwickelt werden sollten. Indeß hoffe ich doch eine größere Simplicität, als man bisher gewohnt gewesen ist, darin beobachtet zu haben. 

Für Deine Bemühungen um Schlegels Dante danke ich Dir sehr. Es ist ein sehr guter Beytrag für unsere Horen. Seines Bruders Aufsatz habe ich an Biester abgetreten, weil dieser Anerbietungen macht, die ich nicht machen kann; auch wäre kein Raum mehr in der Thalia dafür übrig. 

Laß uns nun bald auch Früchte Deines Fleißes sehen. Ich wäre es gar wohl zufrieden, wenn Du Biographien bearbeiten wolltest, und du würdest viel darin leisten. Aber mir ahndet, daß Du dieses Vorhaben nicht ausführen wirst. Ich habe aus Erfahrung, daß die Vorarbeiten zu einer historischen Production äuserst abschreckend sind, u. bey keiner Arbeit wird so viel Zeit weggeworfen. Bald würdest Du finden, daß Du etwas Besseres treiben könntest, und die Leerheit nicht aushalten, die man durchwandern muß, um zu einen erträglichen Resultat zu gelangen. Interessanter fändest Du vielleicht eine Characteristick von großen Genies, besonders dichterischen. Hier steht alles in Beziehung auf etwas Großes u. Wichtiges, das den Geist immer angespannt erhält; und gerade dieser Punkt ist es, um den sich Deine Ideen am liebsten drehen. Auch etwas allgemeines, wie z. B. über das Poetische Genie, über die Unterschiede der Geister, über Erschaffen und Geniessen u. s. f. wäre für Dich. 

Meine Büste erhältst Du nun gewiß, und vielleicht eh’ ein Monat vergangen ist. Abgegossen ist sie nun, wie mir Dannecker schreibt, und er hat nun bloß die letzte Hand daran zu thun. Meyer und Göthe sind äuserst wohl damit zufrieden. 

Dieser Tage hat mir Göthe die Aushängebogen von dem 1. Buch ss Romans mitgetheilt, welche meine Erwartungen wirklich übertroffen haben. Er ist darin ganz Er selbst: zwar viel ruhiger und kälter als im Werther, aber eben so wahr, so individuell, so lebendig, und von einer ungemeinen Simplicität. Mitunter wird man auch von einzelnen auffahrenden Funken eines jugendlich feurig Dichtergeistes ergriffen. Durch das Ganze, soweit ich davon las, herrscht ein großer, klarer und stiller Sinn, eine heitere Vernunft, und eine Innigkeit, welche zeigt, wie ganz er bey diesem Product gegenwärtig war. Du wirst Dich sehr darüber freuen. 

Noch muß ich Dich bitten, einige Avertissements an Funk zu schicken, dessen Adresse ich nicht weiß. Entschuldige mich bey ihm, daß ich ihn ungefragt unter die Mitarbeiter setzte. Ich glaubte zuverläßig auf ihn rechnen zu können. Dich habe ich weggelassen, weil ich Dir keinen falschen Nahmen geben wollte. Lebe wohl und grüße die Deinigen herzlich von uns. 

               Dein 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 83. Z. 15. Ich habe Avertissements gelesen. Ebenso S. 85. 
2 Z. 1. Gemeint ist die Ankündigung der Horen. 
3 Zu Z. 16. Körners Freund Graf Geßler. Vgl. über ihn E. M. Arndt, Erinnerungen aus dem äußeren Leben. 3. Aufl. S. 211.
4 Zu S. 84. Z. 21. Danneckers Brief an Sch. vom 3. Dez. abgedruckt in Speidel und Wittmanns Bildern aus der Schillerzeit S. 59.
5 Zu S. 85. Z. 1. Über Funk vgl. zu Nr. 52. Zu Z. 5. Vgl. zu Nr. 780.