Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Christian Garve

Jena, den 25. Jenn. [Sonntag] 95.

Hier, mein vortrefflicher Freund erhalten Sie das 1ste Stück unsrer Horen. Möchte der Innhalt desselben Ihrer Aufmerksamkeit nicht unwerth seyn. Die Briefe über die asethetische Erziehung des Menschen haben mich zum Verfasser und sind der Anfang eines größern Ganzen, davon aber noch mehrere Fortsetzungen in dieser Zeitschrift erscheinen werden. Ich würde mich sehr freuen, wenn das politische Glaubensbekenntniß, das ich in dieser ersten Lieferung meiner Briefe, ablege, auf irgend eine Art mit dem Ihrigen übereinstimmte. 

In Ihrem letzten Briefe, für den ich Ihnen herzlich danke, machten Sie gegen den Gebrauch des Wortes: aesthetisch einige Einwendungen. Auch ich liebe es nicht, dem nichtgelehrten Leser das Verständniß einer Schrift, welche philosophische Wahrheiten popular machen soll, durch Einmischung von Kunstwörtern zu erschweren. Wenn aber der Zusammenhang der Sätze diese Kunstwörter erklärt, ja, wenn man denselben ihre Erklärung ausführlich beyfügt, wie ich in solchen Fällen immer beobachte, so halte ich es für einen Gewinn, solche Worte allmählig mehr in Umlauf zu bringen, weil dadurch die Bestimmtheit im Denken nothwendig befördert werden muß. Unsre Sprache hat, soviel mir bekannt ist, kein Wort, welches die Beziehung eines Gegenstandes auf das feinere Empfindungs Vermögen, bezeichnet, da schön, erhaben, angenehm u. s. f. bloße Arten davon sind. Da nun die Ausdrücke moralisch und physisch ohne Bedenken von der Erziehung gebraucht werden, und durch diese beyden Begriffe diejenige Erziehungsart, die sich mit der Ausbildung des feineren Gefühlsvermögens beschäftiget, noch keinesweges ausgedrückt ist, so hielt ich für erlaubt, ja, für nöthig, einer aesthetischen Erziehung zu erwähnen. Mit dem Umgang ist es eben so: ich nenne den Umgang moralisch, wenn er auf solche Verhältnisse der Menschen mit Menschen geht, die sich durch Pflichten bestimmen lassen; ich nenne ihn physisch, wo ihm bloß das natürliche Bedürfniß Gesetze giebt; ich nenne ihn aesthetisch, wo sich die Menschen bloß als Erscheinungen gegeneinander verhalten, und wo nur auf den Eindruck, den sie auf den Schönheitssinn machen, geachtet wird. 

Mir thut leid, daß es mir nicht gelungen ist, Sie zu einer Schrift aufzumuntern, welche den Schriftsteller und seine Verhältnisse behandelt. Ich hielte diesen Gegenstand auch schon deswegen für desto wichtiger, da es ein ganz eigenthümliches Unterscheidungs Zeichen der neueren Welt von der Alten ist, den größten Theil ihrer Ausbildung auf diesem Wege zu erhalten. Aus dem ganz eigenen Umstand, daß der Schriftsteller gleichsam unsichtbar und aus der Ferne auf einen Leser wirkt, daß ihm der Vortheil abgeht, mit dem lebendigen Ausdruck der Rede und dem accompagnement der Gesten auf das Gemüth zu wirken, daß er sich immer nur durch abstrakte Zeichen, also durch den Verstand an das Gefühl wendet, daß er aber den Vortheil hat, seinem Leser eben deswegen eine größere Gemüthsfreyheit zu lassen, als im lebendigen Umgang möglich ist, u. s. f. Aus Allem diesem scheinen mir ganz eigene Regeln hervorzugehen, die eine nähere Entwickelung verdienten. Bei dem Sprechenden mischt sich das Individuum schon mehr in die Sache, und darf sich mehr darein mischen. Von dem Schreibenden wird die Sache weit strenger gefordert. Nun giebt es aber ein Mittel der Sache nichts zu vergeben und dennoch durch Mittheilung seiner Individualitaet den Vortrag zu beseelen. Auf dieses Mittel nun wünschte ich die Aufmerksamkeit vorzüglich gerichtet zu sehen. 

Leben Sie wohl, mein verehrter Freund. Möchte Ihre Gesundheit sich stärken und keine körperliche Störung Ihren heitren und ruhigen Geist in seiner schönen Thätigkeit unterbrechen. Ganz der Ihrige

Schiller


Bemerkungen

1 Zu S. 108. Z. 8. Vgl. zu Nr. 735 und 752.