Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena d. 1. März [Sonntag] 95. 

Hier übersende ich Ihnen einstweilen vier Exemplarien der Horen, wovon ich eins an den Herzog zu überreichen bitte. Die übrigen werden nachfolgen. 

Die Jacobische Critik hat mich nicht im geringsten gewundert; denn ein Individuum wie Er muß eben so nothwendig durch die schonungslose Wahrheit Ihrer Naturgemählde beleidigt werden, als Ihr Individuum ihm dazu Anlaß geben muß. Jacobi ist einer von denen, die in den Darstellungen des Dichters nur ihre Ideen suchen, und das was seyn soll höher halten als das was ist; der Grund des Streits liegt also hier schon in den ersten Principien, und es ist völlig unmöglich, daß man einander versteht. 

Sobald mir einer merken läßt, daß ihm in poetischen Darstellungen irgend etwas näher anliegt als die innre Nothwendigkeit und Wahrheit, so gebe ich ihn auf. Könnte er Ihnen zeigen, daß die Unsittlichkeit Ihrer Gemählde nicht aus der Natur des Objekts fließt und daß die Art, wie Sie dasselbe behandeln, nur von Ihrem Subjekt sich herschreibt, so würden Sie allerdings dafür verantwortlich seyn, aber nicht deßwegen weil Sie vor dem moralischen, sondern weil Sie vor dem ästhetischen Forum fehlten. Aber ich möchte sehen, wie er das zeigen wollte. 

Ein Besuch stört mich, und ich will das Paquet nicht aufhalten. 

Weißhuhn war eben bey mir. Er will sich morgen inscribieren lassen. Leben Sie recht wohl. 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 138. Z. 14. Goethe hatte mit X. einen Brief von Jacobi vom 18. Febr. 95 übersandt, in dem er den Wilh. Meister beurteilt hatte. Er urteilte, daß ein gewisser unsauberer Geist darin herrsche. Vgl. Brfw. zwischen Goethe und F. H. Jacobi. Leipzig, 1846. S. 203.