Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wilhelm von Humboldt

Jena, den 9. Aug. [Sonntag] 95. 

Wenn Sie diesen Brief erhalten, liebster Freund, so entfernen Sie alles, was profan ist, und lesen in geweyhter Stille dieses Gedicht1. Haben Sie es gelesen, so schließen Sie sich mit der Li ein, und lesen es ihr vor. Es thut mir leid, dass ich es nicht selbst kann, und ich schenke es Ihnen nicht, wenn Sie einmal wieder hier seyn werden. Ich gestehe, daß ich nicht wenig mit mir zufrieden bin, und habe ich je die gute Meinung verdient, die Sie von mir haben und deren Ihr letzter Brief mich versicherte, so ist es durch diese Arbeit. Um so strenger muß aber auch Ihre Critik seyn. Es mögen sich gegen einzelne Ausdrücke wohl noch Erinnerungen machen laßen, und wirklich war ich selbst bey einigen im Zweifel; auch könnte es leicht seyn, daß ein anderer als Sie und Ich noch einiges deutlicher gesagt wünschte. Aber nur, was Ihnen noch zu dunkel scheint, will ich ändern; für die Armseligkeit kann ich meine Arbeit nicht berechnen. Eben fällt mir ein, daß ich das Gedicht an Cotta absenden muß, ehe ich noch Ihre Critik erwarten kann, denn ein Fragment von Meiers Aufsatz abgerechnet, ist noch gar nichts zum 9ten Stück der Horen da, wozu ich doch mit erster Post Mscrpt schicken muß. 

Senden Sie mir das Gedicht mit rückkehrender Post wieder. Michaelis erhält es nicht, auch ist es für eine AlmanachsArbeit zu gewichtig. Für den Almanach werde ich aber doch, da ich im Zuge bin, noch einiges hinwerfen; und überhaupt bin ich fest entschlossen, die nächsten 10 Monate nichts als Poeterey zu treiben. 

Es ist gewiß, daß die Bestimmtheit der Begriffe dem Geschäft der Einbildungskraft unendlich vortheilhaft ist. Hätte ich nicht den sauren Weg durch meine Aesthetik geendigt, so würde dieses Gedicht nimmermehr zu der Klarheit und Leichtigkeit in einer so difficilen Materie gelangt seyn, die es wirklich hat. 

Meine zwey letzten Briefe haben Sie hoffentlich erhalten, und nochmals bitte ich Sie, mit Michaelis Ihre Maaßregeln so frey zu nehmen, als wenn es Ihre und nicht meine Sache wäre. Er war vor kurzer Zeit noch in Braunschweig, wo er Schlegeln sagte, daß es noch Zeit wäre, wenn er Beyträge zum Almanach schicken wollte. Indessen sehe ich noch keine Möglichkeit, wie dieser zur Messe noch fertig werden soll.

Göthe ist noch nicht zurük. Vor etlich Tagen erhielt ich einen neuen Brief, wo er mir den Tag seiner Abreise von Carlsbad auf den 4ten festsetzte, der längst verstrichen ist. 

Von Körnern habe ich seit 3 Wochen keine Zeile gesehen. Ich erwarte daher in seinem ersten Briefe einen Aufsatz von ihm.

Beyliegende Schlegelsche Gedichte rücken Sie unmittelbar hintereinander in die neulich überschickte Sammlung u. haben die Güte, solche zu paginieren. In acht Tagen folgt eine neue Lieferung. Tausend herzliche Grüße an Sie u. Li von uns beyden. Göthe grüßt Sie auch.

               Mit herzlicher Liebe der Ihrige. 

Schiller.


1) Das Reich der Schatten.


Bemerkungen

1 Zu S. 232. Z. 26. Vgl. Nr. 887. S. 229. Z. 25. 
2 Zu Z. 28. Vgl. Nr. 888.
3 Zu S. 233. Z. 12. Die beiden Briefe, die laut K. Sch. am 3. u. 7. August an Humboldt absandte, sind nicht erhalten. 
4 Zu Z. 15. Vgl. Schlegels Brief aus Braunschweig vom 6. August (eingetroffen d. 10. August). Preuß. Jahrb. IX, 2. S. 199. 
5 Zu Z. 21. Nach Nr. 884 u. 885 erwartete Sch. Goethe schon am 3. August zurück.