Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wilhelm von Humboldt

Jena den 9. Jenn. [Sonnabend] 96.

Für unsere Correspondenz, mein liebster Freund, ist seit 14 Tagen eine üble Zeit gewesen, und sie möchte wohl noch eine Woche dauern. In der ersten Zeit drängte mich der Schluß meiner Abhandlung, welche ohne Barmherzigkeit fertig werden mußte, und doch nicht übereilt werden durfte. Nachher kam Graf Purgstall aus Koppenhagen, mit mächtigen Empfehlungen versehen, dem ich viel Aufmerksamkeit beweisen mußte, und blieb einige Tage. Alsdann erschien Göthe, der mir alle Abendstunden nimmt, und seit etlichen Tagen ist Herr von Funk hier, dem ich mich auch nicht entziehen kann und auch nicht mag, da ich ihn gerne habe. Ich habe seit fast 10 Tagen nichts gearbeitet, wollte es auch nicht, und die wenige übrige Zeit hat mir die Versendung der Horen und des Almanachs (den ich aus dem Buchladen ausnehmen mußte) nebst einer Menge öfters lästiger, aber nothwendiger Briefe an Engel, Bürde, nach Erfurt, Daenemark, Stuttgardt, Tübingen, an Archenholz, Schlegel, Langbein u andre weggenommen. Urtheilen Sie nun selbst, ob ich für unsere Correspondenz, bey der ich so gern mit ganzer Seele gegenwärtig bin, Zeit übrig behielt. Mit meiner Gesundheit geht es übrigens ganz erträglich und ich bin mit dem Winter ungleich beßer als mit dem Sommer zufrieden.

Die erste Abtheilung der Recension der Horen haben Sie nun wahrscheinlich schon gelesen. Sie enthält viel Gutes und Gedachtes, und es ist gar keine Frage, daß wir lange hätten suchen müssen, um einen beßern Beurtheiler zu finden, aber befriedigt hat sie mich doch nicht ganz, und ich vermuthe, es wird Ihnen auch so seyn. Indessen ist Schlegel übereilt worden, und ich wundre mich, daß er in der kurzen Zeit, die ihm gelassen wurde, so viel geleistet hat. Mit seinen Critiken, den Versbau betreffend, werden Sie auch wohl nicht durchaus einig seyn. Göthe hat zwar auch vieles gegen die Recension einzuwenden, besonders in Rücksicht auf das was an seinen Versen getadelt wird, im ganzen aber ist er sehr wohl damit zufrieden, und hat eine gute Meinung von Schlegeln bekommen.

Schütz scheint seit einiger Zeit wieder großen Respect gegen die Horen zu hegen, vermuthlich erfuhr er aus der Recension Schlegels erst, was an den Gedichten sey. Er spricht auch wieder von meinen philos. Aufsätzen, unter denen er den über das Naive mir gar nicht zuschrieb, vielleicht auch noch andere nicht, denn er erschrak ordentlich, wie er im Register so oft meinen Nahmen fand.

So eben erhalte ich Ihren Brief vom 5ten. Das Uebelbefinden der guten Li betrübt mich sehr und auch daß Sie noch immer nicht recht wohl sind. Unter diesen Umständen konnten Sie nichts beßeres thun, als in Berlin leben, und ich rathe Ihnen, es nicht sobald zu verlassen. Es ist mir übrigens ein Trost, daß unsere beiderseitigen Zerstreuungen in Eine Epoche zusammen fallen, weil sonst der einsam Bleibende von beyden sich verlassen finden würde.

Nach dem was Sie mir von Schlegels Arbeit schreiben erwarte ich eher eine implicite Bestätigung als eine Erweiterung oder Widerlegung meiner Ideen über diesen Gegenstand. Es scheint doch, er hat sich mehr an das grobe Phaenomen gehalten was jedem auffällt, ohne in das innere einzudringen. Sein Urtheil über Schakespear beweißt es, denn seine Manier ist das erste, was einem auffällt und bey manchem oft das einzige. Daß der Aufsatz über das Naive Eingang zu finden scheint, ist mir des folgenden Aufsatzes wegen gar nicht unlieb zu vernehmen. Es ist immer etwas für mich gewonnen, wenn man nur mit einem guten Vertrauen zu den sentimentalischen Dichtern kommt. Auch der dritte Aufsatz wird interessieren. Nachdem ich darinn die beyden Abwege naiver und sentim. Poesie aus dem Begriff einer jeden abgeleitet und bestimmt, alsdann zwey herrschende Grundsätze welche das Platte und das Ueberspannte begünstigen geprüft habe (der eine ist, daß die Poesie zur Erholung, der andere, daß sie zur Veredlung diene) so trenne ich von beyden Dichtercharakteren das poetische was sie verbindet, und erhalte dadurch zwey einander ganz entgegengesetzte Menschencharaktere, die ich den Realism und den Idealism nenne, welche jenen beyden DichterArten entsprechen und nur das prosaische Gegenstück davon sind. Ich führe diesen Antagonism durch das theoretische und praktische umständlich durch, zeige das Reale von beyden, so wie das Mangelhafte. Von da gehe ich zu den Carricaturen desselben, d. h. zu der groben Empirie und Phantasterey über, womit die Abhandlung schließt. Es sind also drey Gradationen von einem jeden Character aufgestellt, und es zeigt sich, daß die Spaltung zwischen beiden immer größer wird, je tiefer sie herabsteigen.

Naiver Dichtergeist

Sentiment. Dichtergeist,

welche beyde darinn überein kommen, daß sie aus dem Menschen ein Ganzes machen, wenn gleich auf sehr verschiedene Weise.

Realism.

Idealism.

welche darinn überein kommen, daß sie sich an das Ganze halten und nach einer absoluten Nothwendigkeit verfahren, daher sie in den Resultaten gleich seyn können.

Empirism.

Phantasterey.

welche bloß in der Gesetzlosigkeit überein kommen, die bey dem Empirism in einer blinden Naturnöthigung, bey der Phantasterey in einer blinden Willkühr bestehet.

Ich hoffe, daß Sie diese hier roh hingeworfenen Ideen mit sorgfältiger Strenge ausgeführt finden sollen. Da ich selbst ein Idealist bin, so mußte ich mich sehr objectiv machen, um ein entscheidendes Urtheil in dieser Sache zu haben; aber ich bin überzeugt, daß mir in diesem Punkt keine Menschlichkeit begegnet ist. Goethe, als ein ganz verhärteter Realist, hat mir folgen können und mich auch gefaßt.

Nun habe ich, einige Bemerkungen zur Mad. Staël etwa ausgenommen, in dem philosophischen und kritischen Gebiete eine Zeitlang nichts mehr zu bestellen und eile mit erleichtertem Herzen meiner Muse entgegen.

Von Michaelis habe ich auch mit dem heutigen Posttag noch nichts erhalten, obgleich der Almanach hier in allen Buchläden verkauft wird. Ich nehme Exemplarien hier aus und ziehe ihm den Betrag von einer Bücher-Rechnung ab, die ich ihm glücklicherWeise noch zu bezahlen habe. Anders weiss ich mir nicht zu helfen, da ich dem Publikum nicht sagen darf, wie sehr der elende Mensch mir manquiirt.

Haben Sie doch die Güte l. Freund, eingeschlossenen Brief an Kosegarten mit einem guten Exempl. des Calenders zusammen zu packen und unter der, auf dem Briefe bemerkten Adresse an Kosegarten franco zu senden. Auch an Meier in Berlin sind Sie so gütig, ein guter Exemplar des Almanachs wenn er noch keins von Michaelis haben sollte, auf meine Rechnung abzugeben.

Ich sende Ihnen hier das tägliche Taschenbuch, worauf mich Seidler biß jetzt warten ließ. Tausend herzliche Grüße von uns an Sie und die gute Li, der ich von Herzen eine gute Besserung wünsche. Ihr

Sch.

Den 11. Januar.

Wenn Sie ohne Beschwerlichkeit für Sich Selbst 24 Ldors auf 6 biß 8 Wochen missen können, l. Fr. so möchte ich Sie bitten diese Summe an Friedländer für Engeln abzugeben, der es zu wünschen scheint. Genierte Sie diese Zahlung, so geben Sie mir nur in 2 Worten mit erster Post davon Nachricht.