Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wilhelm Reinwald

Jena 19. 7br. [Montag] 96.

Du erhältst hier Nachricht, lieber Bruder von der letzten Auflösung des guten Vaters, die, so sehr sie auch erwartet, ja gewünscht werden mußte, uns alle aufs tiefste betrübt. Der Beschluß eines so langen und dabey so thätigen Lebens ist selbst f[ür] den gleichgültigen und Fremden ein rührender Gegenstand: wie muß er es denjenigen seyn, die er so nahe angeht; ich muß mich des Nachdenkens über diesen schmerzlich Verlust mit Gewalt entschlagen, weil ich die lieben Unsrigen aufzurichten habe. Es ist ein großer Trost für Deine Frau, daß sie ihre kindliche Pflicht noch biß an das Sterbelager des guten Vaters hat erstrecken und erfüllen können. Nie würde sie sich darüber getröstet haben, wenn er wenige Tage nach Ihrer Abreise gestorben wäre.

Du begreifst, daß sie in den ersten Tagen der schmerzlichen Trennung, wo noch so viele unangenehme Ereigniße auf die gute Mutter einstürmen, nicht abreisen konnte, wenn auch die Post im Gange wäre. Aber diese stockt noch immer und wir müßen erst die Kriegsereignisse auf der fränkisch, schwäbisch und pfälzisch Grenze abwarten. Wie sehr diese Abwesenheit Deiner Frau Dich drücken muß, fühle ich mit Dir, aber wer kann gegen eine solche Kette unvermeidlicher Schicksale! Leider verflicht sich die allgemeine und öffentliche Unordnung auch in unsre Privatbegebenheiten auf die fatalste Weise.

Deine Frau sehnt sich von Herzen nach Hause, und sie verdient nur desto mehr unsre Achtung, daß sie, gegen ihre Neigung und gegen ihr Interesse, sich nur durch die Vorstellung Ihrer kindlichen Pflichten leiten ließ. Jetzt aber säumt sie gewiß keine Stunde länger, sich auf die Rückreise zu machen, sobald es nur ohne Gefahr und möglicher Weise geschehen kann.

Tröste sie doch, wenn Du ihr schreibst, es bekümmert sie, Dich verlaßen zu wißen und Dir nicht helfen zu können.

Lebe recht wohl l. Bruder

Der Deinige

Sch.