Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Friedrich Hölderlin

Jena, den 24. November [Donnerstag] 1796.

Ich habe Sie keineswegs vergessen, lieber Freund, wie Sie denken; blos Zerstreuungen und Geschäfte, neben meiner gewöhnlichen Briefscheu haben die Antwort auf Ihre freundschaftlichen Briefe so lange verzögert.

Ihre neuesten Gedichte kamen für den Almanach um mehrere Wochen zu spät, sonst würde ich von dem einen oder andern gewiß Gebrauch gemacht haben. Dafür, hoffe ich, sollen Sie an dem künftigen desto größern Antheil haben. Da es mir heute an Muße fehlt, diese letzt übersandten Stücke durchzugehen, so behalte ich sie vor der Hand noch da, um meine Bemerkungen beizuschreiben.

Große Freude machte mirs, wenn ich in dem nächsten Almanach einige reife und bleibende Früchte Ihres Talents aufstellen könnte. Nehmen Sie, ich bitte Sie, Ihre ganze Kraft und Ihre ganze Wachsamkeit zusammen, wählen Sie einen glücklichen poetischen Stoff, tragen ihn liebend und sorgfältig pflegend im Herzen, und lassen ihn, in den schönsten Momenten des Daseyns, ruhig der Vollendung zu reifen; fliehen Sie wo möglich die philosophischen Stoffe, sie sind die undankbarsten, und in fruchtlosem Ringen mit denselben, verzehrt sich oft die beste Kraft; bleiben Sie der Sinnenwelt näher, so werden Sie weniger in Gefahr seyn, die Nüchternheit in der Begeisterung zu verlieren, oder in einen gekünstelten Ausdruck zu verirren.

Auch vor einem Erbfehler deutscher Dichter möchte ich Sie noch warnen, der Weitschweifigkeit nämlich, die in einer endlosen Ausführung und unter einen Fluth von Strophen oft den glücklichsten Gedanken erdrückt. Dieses thut Ihrem Gedicht an Diotima nicht wenig Schaden. Wenige bedeutende Züge in ein einfaches Ganzes verbunden, würden es zu einem schönen Gedichte gemacht haben. Daher empfehle ich Ihnen vor allem eine weise Sparsamkeit, eine sorgfältige Wahl des Bedeutenden und einen klaren einfachen Ausdruck desselben. Doch wie kann ich alles das spezificiren, was ich wünschte? Sie haben Moses und die Propheten; halten Sie sich an die schönsten Muster und bilden sich daraus die Regeln selbst, die ohne das nur Worte seyn würden.

Verzeihen Sie mir diese Aufforderungen, diese Warnungen, theilnehmende Freundschaft hat beide eingegeben.

Leben Sie recht wohl und lassen mich fleißig von sich hören.

Ihr aufrichtig ergebener

Schiller.