Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

7. Febr. [Dienstag] 97. 

Sie haben mir in diesen letzten Botentagen einen solchen Reichthum von Sachen zugeschickt, daß ich mit dem Besichtigen noch gar nicht habe fertig werden können, besonders da mir von der einen Seite ein Garten, den ich im Handel habe, und von der andern eine Liebescene in meinem zweyten Act den Kopf nach sehr verschiedenen Richtungen bewegen.

Indessen habe ich mich gleich an das Mahler-Müllerische Scriptum gemacht, welches, zwar in einer schwerfälligen und herben Sprache, sehr viel vortrefliches enthält, und nach den gehörigen Abänderungen im Stil eines vorzüglich guten Beytrag zu den Horen abgeben wird. 

In dem neuen Stück Cellini habe ich mich über den Guß des Perseus recht von Herzen erlustigt. Dei Belagerung von Troja oder von Mantua kann keine größere Begebenheit seyn, und nicht pathetischer erzählt werden als diese Geschichte. 

Ueber das Epos, welches Sie mir mitgetheilt, werde ich Ihnen mehr sagen können, wenn Sie kommen. Was ich biß jetzt darinn gelesen, bestätigt mir sehr Ihr Urtheil. Es ist das Produkt einer lebhaften und vielbeweglichen Phantasie, aber diese Beweglichkeit geht auch so sehr biß zur Unart, daß schlechterdings alles schwimmt und davonfließt, ohne daß man etwas von bleibender Gestalt darinn fassen könnte. Bei diesem durchaus herrschenden Charakter der bloßen gefälligen Mannigfaltigkeit und des anmuthigen Spiels würde ich auf einen weiblichen Verfasser gefallen seyn, wenn es mir zufällig in die Hände gerathen wäre. Es ist reich an Stoff, und scheint doch äuserst wenig Gehalt zu haben. Nun glaube ich aber, daß das was ich Gehalt nenne, allein der Form fähig werden kann; was ich hier Stoff nenne, scheint mir schwer oder niemals damit verträglich zu seyn. 

Ohne Zweifel haben Sie jetzt auch die Wielandische Oration gegen die Xenien gelesen. Was sagen Sie dazu? Es fehlt nichts, als daß sie im Reichsanzeiger stünde. 

Von meiner Arbeit und Stimmung dazu kann ich jetzt gerade wenig sagen, da ich in der Crise bin, und mein beßtes feinstes Wesen zusammennehme, um sie gut zu überstehen. Insofern ist mirs lieb, daß die Ursache die Sie abhält hieher zu kommen, gerade diesen Monat trift, wo ich mich am meisten nöthig habe zu isolieren. 

Soll ich Ihre Elegie nun etwa zum Druck abschicken, daß sie am Anfange Aprils ins Publikum kommt? 

Zu dem Mährchen wünsche ich bald eine recht günstige Stimmung. Leben Sie recht wohl. Wir freuen uns, Sie auf den Sontag zu sehen. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 156. Z. 9. ff. Vgl. zu 1160 u. X. Zu Z. 16. Goethe hatte mit X. einen Gesang eines wunderlichen Gedichts, dessen Verfasser er kenne, gesandt. Düntzer nennt als Verfasser Leo v. Seckendorf, aber nur als Vermutung. (Sch. u. Goethe S. 131).
Zu S. 157. Z. 1. Vgl. Wielands Merkur, 2. Stück, 1797. Zu Z. 10. Die Elegie erschien nicht in den Horen. Vgl. Nr. 1151. Zu Z. 12. Das Märchen mit dem Weibchen im Kasten, das später als neue Melusine den Wanderjahren einverleibt wurde (Düntzer).