Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

[Jena], 7. April [Freitag] 97. 

Es ist eine gewaltig große Pause in unserer Correspondenz gewesen, die sich über mein Schreiben überhaupt verbreitet hat. Goethe war 6 Wochen hier, und es wimmelte in meinem Hause zugleich von Familienbesuchen so, daß ich nicht nur in meinem Wallenstein, sondern auch in allem, was mit der Feder geschehen muß, zurückgekommen bin. So lange ich in einer gewissen Ruhe und Gleichförmigkeit lebe, gehen alle Sachen bei mir ihren ordentlichen Gang; aber bin ich einmal herausgeworfen, so kann ich mich Wochen und Monate lang nicht wieder finden. 

Das epische Gedicht von Goethen, das ich habe entstehen sehen, und welches, in unseren Gesprächen, alle Ideen über epische und dramatische Kunst in Bewegung brachte, hat, verbunden mit der Lectüre des Shakespeare und Sophokles, die mich seit mehrern Wochen beschäftigt, auch für meinen Wallenstein große Folgen; und da ich bei dieser Gelegenheit tiefere Blicke in die Kunst gethan, so muß ich manches in meiner ersten Ansicht des Stücks reformiren. Diese große Krise hat indeß den eigentlichen Grund meines Stücks nicht erschüttert, ich muß also glauben, daß dieser ächt und solid ist: aber freilich bleibt mir das Schwerste noch immer übrig, nämlich die poetische Ausführung eines so schweren Planes, wie der meinige es in der That ist. 

Für Deine astrologischen Mittheilungen danke ich Dir sehr: sie sind mir wohl zu statten gekommen. Ich habe unterdessen einige tolle Producte aus diesem Fache vom 16ten Säculum in die Hand bekommen, die mich wirklich belustigen. Unter andern ein lateinisch Gespräch, aus dem Hebräischen übersetzt, zwischen einer Sophia und einem Philo über die Liebe, worin die halbe Mythologie in Verbindung mit der Astrologie vorgetragen wird. 

Man vergleicht darin die 7 Planeten mit den 7 Eingeweiden und der Merkur wird sehr sinnreich mit dem penis und seine Bewegungen mit den Erectionen verglichen. Auch wird eine Analogie zwischen der Zunge und dem penis wunderbar ausgeführt: 

Penis tum situ et figura, tum extensione et contractione linguam repraesentat. Ambo consimilem sedem et actionem sortita sunt. Quemadmodum coles agitatione sua prolem corporalem gignit, ita lingua, disciplinas exprimendo, spirituales partus in lucem edit. Osculum quoque ambobus est commune unum ad alterum incitandum accommodatum. Quemadmodum lingua, inter duas manus est collocata, ita coles inter duo iacet crura etc. 

Mercurius coelestis coles iure vocari potest, lunae aspectibus excitatur, et non secus ac penis propter desiderium erigi videtur. 

Meinen Garten hoffe ich in acht Tagen beziehen zu können. Ich freue mich sehr darauf und hoffe, was ich diese drei letzten Monate an meinem Geschäfte versäumt habe, dort wieder einzubringen. Jetzt aber beunruhigt uns noch der Ausgang der Inoculation, die wir vor drei Tagen mit unserem Kleinen angestellt haben. Ich habe einige Hoffnung, sowie auch Starke, daß er die Blattern schon gehabt, weil er vor vier Monaten einen blatterähnlichen Ausschlag mit viel Unruhe und Fieber gehabt hat. Seit den drei Tagen, daß er inoculirt ist, wie überhaupt schon seit vielen Wochen ist er sehr wohl und stark. 

Der einfältige Mensch, der Otto, hat mir Deine Guitarre nun auf heut Abend für gewiß versprochen, und dann könnte ich sie morgen absenden. Ich trau ihm aber noch nicht. Vielleicht kann ich Dir vor Absendung dieses Briefes noch was Bestimmtes schreiben. 

Lebe wohl. Ich umarme Euch alle herzlich. Inliegendes Reiterlied ist aus dem Wallenstein. Vielleicht hast Du Lust, es zu componiren. 

Dein 

S. 

Eben war der Instrumentenmacher wieder bei mir. Das Instrument soll ich noch zur rechten Zeit erhalten, um es morgen abgehen zu lassen. Er sagt, daß nur der Lack noch nicht ganz trocken sei, und er es darum erst morgen packen dürfe.


1 ###Er war am 20. Febr. in Jena angekommen und am 28. März abgereist.  ­
2 ###Es folgen einige lateinische Stellen über die Analogie zwischen coles und lingua, und Analogie zwischen coles und Mercurins, die, wer neugierig danach ist, in dem Buche selbst aufsuchen mag. ­


Bemerkungen

1 Zu S. 171. Z. 25. Vgl. X. und zu Nr. 1175.
Zu S. 172. Z. 5. Diese Stelle schickte Sch. auch an Goethe in Abschrift. Vgl. Nr. 1180.