Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 30. 8br. [Montag] 97. 

Gottlob, daß ich wieder Nachricht von Ihnen habe! Diese 3 Wochen, da Sie in den Gebirgen, abgeschnitten von uns, umherzogen, sind mir lang geworden. Desto mehr erfreute mich Ihr lieber Brief und alles was er enthielt – Die Idee von dem Wilh. Tell ist sehr glücklich, und genau überlegt könnten Sie, nach dem Meister und nach d Herrmann nur einen solchen, völlig local-charakteristischen Stoff, mit der gehörigen Originalität Ihres Geistes und der Frischheit der Stimmung behandeln. Das Interesse, welches aus einer streng umschriebenen, characteristischen Localität und einer gewissen historischen Gebundenheit entspringt, ist vielleicht das einzige, was Sie Sich durch jene beiden vorhergegangenen Werke nicht weggenommen haben. Diese 2 Werke sind auch dem Stoff nach aesthetisch frey, und so gebunden auch in beiden das Local aussieht und ist, so ist es doch ein rein poetischer Boden und repraesentiert eine ganze Welt. Bei dem Tell wird ein ganz andrer Fall seyn, aus der bedeutenden Enge des gegebenen Stoffes wird da alles geistreiche Leben hervorgehen. Es wird darinn liegen, daß man durch die Macht des Poeten recht sehr beschränkt und in dieser Beschränkung innig und intensiv gerührt und beschäftigt wird. Zugleich öfnet sich aus diesem schönen Stoffe wieder ein Blick in eine gewisse Weite des Menschengeschlechts, wie zwischen hohen Bergen eine Durchsicht in freie Fernen sich aufthut. 

Wie sehr wünschte ich, auch dieses Gedichtes wegen, bald wieder mit Ihnen vereinigt zu seyn. Sie würden sich vielleicht jetzt eher gewöhnen, mit mir darüber zu sprechen, da die Einheit und Reinheit Ihres Herrmanns durch Ihre Mittheilungen an mich, während der Arbeit, so gar nicht gestört worden ist. Und ich gestehe daß ich nichts auf der Welt weiß, wobei ich mehr gelernt hätte, als jene Communicationen, die mich recht ins Innere der Kunst hineinführten.

Das Lied vom Mühlbach ist wieder charmant und hat uns große Freude gemacht. Es ist eine ungemein gefällige Einkleidung, die der Einbildungskraft ein reizendes Spiel verschafft; das Silbenmaß ist auch recht glücklich dazu gewählt. Auch die Distichen sind sehr lieblich. 

Humboldt hat endlich einmal, und zwar aus München geschrieben. Er geht jetzt auf Basel los, wo er sich bestimmen wird, ob die Pariser Reise vor sich gehen soll oder nicht. Sie wird er also schwerlich mehr finden, es sei denn daß Sie den Winter noch bei Zürich zubringen werden, wohin er sich wenden wird, wenn er nicht nach Paris geht. Ein großes Salzbergwerk bei Berchtoldsgaden, worinn er gewesen, beschreibt er recht artig. Die Baierische Nation scheint ihm sehr zu gefallen, und einen dortigen Kriegsminister Rumdohr rühmt er sehr wegen seiner schönen und menschenfreundlichen Anstalten. 

Wir sind jetzt wieder in der Stadt, wo wir uns sämtlich wohlauf befinden. Ich arbeite an d Wallenstein eifrig, wiewohl es sehr langsam geht, weil mir der viele und ungestaltbare Stoff so gar viel zu thun giebt. 

Den Almanach haben Sie nun erhalten, so wie auch meinen Brief vom 2ten, 6ten und 20 8br, wie ich hoffe. 

Leben Sie recht wohl mit Meiern, den wir herzlich grüßen. Möchte unser guter Genius Sie ja bald wieder zu uns führen. Meine Frau wird Ihnen selbst ein paar Zeilen schreiben. Ich las neulich d Herrmann vor einer Gesellschaft von Freunden in Einem Abend vom Anfang biß zum Ende: er rührte uns wieder unbeschreiblich, und mir brachte er noch die Abende, wo Sie ihn uns vorlasen, so lebhaft zurück, daß ich doppelt bewegt war. Noch einmal. Leben Sie recht wohl! 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 282. Z. 7. Goethe plante eine epische Bearbeitung der Tellsage.
Zu S. 283. Z. 7. Die Distichen sind das Gedicht: Uri. Zu Z. 8. Humboldts Brief vom 24. Okt. aus München (eingetr. d. 30. Okt.) fehlt. Zu Z. 16. Gemeint ist Benjamin Thompson Rumford. Zu Z. 26. Charlottens Brief. Goethe, Jahrb. IV. S. 235.