Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena den 24. Nov. [Freitag] 97.

Ich habe noch nie so augenscheinlich mich überzeugt, als bei meinem jetzigen Geschäft, wie genau in der Poesie Stoff und Form, selbst äusere, zusammenhängen. Seitdem ich meine prosaische Sprache in eine poetisch-rhythmische verwandle, befinde ich mich unter einer ganz andern Gerichtsbarkeit als vorher; selbst viele Motive, die in der prosaischen Ausführung recht gut am Platz zu stehen schienen, kann ich jetzt nicht mehr brauchen; sie waren bloß gut für den gewöhnlichen Hausverstand, dessen Organ die Prosa zu seyn scheint; aber der Vers fodert schlechterdings Beziehungen auf die Einbildungskraft, und so mußte ich auch in mehreren meiner Motive poetischer werden. Man sollte wirklich alles, was sich über das gemeine erheben muß, in Versen, wenigstens anfänglich, concipieren, denn das Platte kommt nirgends so ins Licht, als wenn es in gebundener Schreibart ausgesprochen wird.

Bei meinen gegenwärtigen Arbeiten hat sich mir eine Bemerkung angeboten, die Sie vielleicht auch schon gemacht haben. Es scheint, daß ein Theil des poetischen Interesse in dem Antagonism zwischen dem Innhalt und der Darstellung liegt: ist der Innhalt sehr poetischbedeutend, so kann eine magre Darstellung und eine bis zum Gemeinen gehende Einfalt des Ausdrucks ihm recht wohl anstehen, da im Gegentheil ein unpoetischer gemeiner Innhalt, wie er in einem größern Ganzen oft nöthig wird, durch den belebten und reichen Ausdruck poetische Dignität erhält. Dieß ist auch meines Erachtens der Fall, wo der Schmuck, den Aristoteles fodert, eintreten muß, denn in einem poetischen Werke soll nichts gemeines seyn. 

Der Rhythmus leistet bei einer dramatischen Production noch dieses große und bedeutende, daß er, indem er alle Charactere und alle Situationen nach Einem Gesetz behandelt, und sie, trotz ihres innern Unterschiedes, in Einer Form ausführt, er dadurch den Dichter und seinen Leser nöthiget, von allem noch so charakteristisch verschiedenem etwas Allgemeines, rein menschliches zu verlangen. Alles soll sich in dem Geschlechtsbegriff des Poetischen vereinigen, und diesem Gesetz dient der Rhythmus sowohl zum Repraesentanten als zum Werkzeug, da er alles unter Seinem Gesetze begreift. Er bildet auf diese Weise die Atmosphaere für die poetische Schöpfung, das gröbere bleibt zurück, nur das geistige kann von diesem dünnen Elemente getragen werden. 

Sie erhalten hier 8 Almanache. Eigentlich waren Ihnen 6 auf Velin zugedacht, aber durch eine Confusion bei der Besorgung geschah es, daß mein Vorrath von schönen Exempl. alle war, eh ichs wußte. Ich sende dafür 2 Exemplare mehr, und das ist Ihnen vielleicht lieber. Die Herzogin hat eins von mir erhalten, so auch Gehrath Voigt, Herder, Böttiger. 

Zelter wünscht zu wißen, wie Sie mit seinen Melodien zur Bajadere u d Lied an Mignon zufrieden sind. Er schreibt, daß unser Almanach ihm eine Wette von 6 Champagnerflaschen gewonnen habe, denn er habe gegen einen andern behauptet: er würde gewiß keine Xenien enthalten. 

Leben Sie bestens wohl und sorgen Sie, daß ich bald etwas von Ihren ästhetischen Sätzen zu lesen bekomme. An Meiern viele Grüße. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 290. Z. 27. Vgl. Zelters Brief zu Nr. 1266.