Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 12. Dec. [Dienstag] 97. 

Da ich in diesen Tagen die Liebesscenen im 2ten Akt des Wallensteins vor mir habe, so kann ich nicht ohne Herzensbeklemmung an die Schaubühne und an die theatralische Bestimmung des Stückes denken. Denn die Einrichtung des Ganzen erfoderte es, daß sich die Liebe nicht sowohl durch Handlung als vielmehr durch ihr ruhiges Bestehen auf sich und ihre Freiheit von allen Zwecken der übrigen Handlung, welche ein unruhiges planvolles Streben nach einem Zwecke ist, entgegensetzt und dadurch einen gewissen menschlichen Kreis vollendet. Aber in dieser Eigenschaft ist sie nicht theatralisch, wenigstens nicht in demjenigen Sinne, der bei unsern Darstellungsmitteln und bei unserm Publicum sich ausführen läßt. Ich muß also, um die poetische Freiheit zu behalten, so lange jeden Gedanken an die Aufführung verbannen. 

Sollte es wirklich an dem seyn, daß die Tragödie, ihrer pathetischen Gewalt wegen, Ihrer Natur nicht zusagte? In allen Ihren Dichtungen finde ich die ganze tragische Gewalt und Tiefe, wie sie zu einem vollkommenen Trauerspiel hinreichen würde; im Wilh. Meister liegt, was die Empfindung betrift, mehr als Eine Tragödie; ich glaube, daß bloß die strenge gerade Linie, nach welcher der tragische Poet fortschreiten muß, Ihrer Natur nicht zusagt, die sich überal mit einer freieren Gemüthlichkeit äusern will. Alsdann glaube ich auch, eine gewiße Berechnung auf d Zuschauer, von der sich der tragische Poet nicht dispensieren kann, der Hinblick auf einen Zweck, den äusern Eindruck, der bei dieser Dichtungsart nicht ganz erlassen wird, geniert Sie, u vielleicht sind Sie gerade nur deßwegen weniger zum Tragödiendichter geeignet, weil Sie so ganz zum Dichter in seiner generischen Bedeutung erschaffen sind. Wenigstens finde ich in Ihnen alle poetischen Eigenschaften des Tragödiendichters im reichlichsten Maaß, und wenn Sie wirklich dennoch keine ganz wahre Tragödie sollten schreiben können, so müßte der Grund in den nicht poetischen Erfordernissen liegen. 

Haben Sie doch die Güte mir gelegentlich einige Comödienzettel, worauf das sämmtliche Personale der Schauspieler ist, beizulegen. 

Ihre Idee wegen Vereinigung der 3 Bibliotheken in Einem Ganzen wird gewiß jeder Vernünftige in Jena u Weimar ausgeführt wünschen. Fände man nur alsdann auch ein Subject welches fähig wäre, dem Ganzen vorzustehen und den Plan der Einheit und Vollständigkeit zu verfolgen. Es ist gewiß schon viel Materie da, vieles ist wohl doppelt und dreifach, womit neues kann eingetauscht werden; auch sehe ich nicht, warum man nicht noch einige neue Bäche in den Bibliothekfond leiten könnte. 

Ich fürchte der neue Nürnbergische Dichter wird uns nicht viel Trost bringen. Es fehlt ihm wohl nicht ganz am Talent, aber so gar sehr an Form und am Bewußtseyn deßen was er will. Indessen, ich habe nur wenig hineingeschaut, vielleicht bin ich just auf das schlimmste gerathen. 

Den historischen Aufsatz habe ich noch nicht ganz durchlesen. Ich sende ihn, nebst meinem Urtheil, auf den Freitag. 

Einsiedels Schrift über das Theater enthält doch manches gut gedachte. Es ist mir unterhaltend wie diese Art von Dilettanten sich gewiße Dinge, die aus der Tiefe der Wissenschaft und der Betrachtung nur geschöpft werden können, ausspricht, wie z. B. was er vom Stil und von der Manier sagt und so ferner. 

Leben Sie recht wohl. Herzlich freue ich mich auf unsre Abende. Meine Frau ist sehr neugierig auf die Cometen, die an dem Himmel Amors und Hymens herum laufen. Grüßen Sie Meiern. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 297. Z. 17. Vgl. X.
Zu S. 298. Z. 15. Goethe hatte mit X. einen Band Gedichte des Nürnberger Mittagspredigers an der dortigen Dominikanerkirche Johann Heinrich Wilhelm Witschel übersandt. Vgl. Düntzer, Schiller und Goethe S. 141. Zu Z. 20. Den Verfasser des historischen Aufsatzes kenne ich nicht. Zu Z. 22. Vgl. zu Nr. 1274. Zu Z. 28. Vgl. X.