Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 23. Jan. [Dienstag] 98. 

Ich bin meines Halsübels doch nicht so leicht los geworden, wie ichs in meinem letzten Brief glaubte versichern zu können. Noch heute plagt es mich und da das Uebel gerade den Kopf einnimmt, so macht es mich ungeduldiger als sonst meine Krämpfe thun. Es ist mir in diesem Zeitpunkt doppelt lästig, da ich gerade im besten Zuge war, und vor Ihrer Ankunft noch eine gute Station zurückzulegen dachte. 

Das kleine Schema zu einer Geschichte der Optik enthält viele bedeutende Grundzüge einer allgemeinen Geschichte der Wißenschaft u des menschlichen Denkens, und wenn Sie sie ausführen sollten, so müßten sich viele philosophische Bemerkungen machen lassen. Der deutsche Geist würde aber nicht zu seinem Vortheil dabey erscheinen, wenn nicht die Entwicklung anticipiert wird. Es ist doch eigen daß sich die Lebhaftigkeit der Franzosen so bald einschüchtern und ermüden ließ. Man möchte sagen daß es doch mehr die Passion, als Liebe zur Sache war, was den Widerspruch der Franzosen nährte; sonst würden sie der Autorität nicht nachgegeben haben. Den Deutschen hält die Autorität und ein dogmatischer Irrthum lange nieder, aber endlich pflegt doch bei ihm seine natürliche Objectivität und sein Ernst an der Sache zu siegen, und gewöhnlich ist Er es doch, der für die Wißenschaft ärntet. 

Es ist gar keine Frage, daß Sie das Mögliche für Ihr Geschäft thun und eine so weit schon geführte Sache zu einem gewünschten Ende bringen müssen; denn daß Sie endlich durchdringen werden, ist mir keinen Augenblick zweifelhaft. Ich glaube aber, Sie thun wohl, wenn Sie jetzt, nachdem Sie vergebens auf einen Begleiter und Mitforscher gewartet haben, sich auch nach keinem mehr umsehen und Ihr Geschäft still für sich selbst vollenden, um alsdann mit dem fertigen, soweit es auf Ihrem Wege sich bringen läßt, auf einmal hervorzutreten. Das erst entstehende imponiert, scheint es, den Deutschen nicht; es reizt sie vielmehr und macht sie eigensinnig, wenn man ihre Dogmata bloß erschüttert, ohne sie ganz und gar umzureißen. Ein völlig fertiges Ganzes und ein methodisch ernstlicher Angriff hingegen überwältigt den Eigensinn und bringt die natürliche u angebohrne Sachliebe des Deutschen auf die Seite des Gegners. So denke ich mir die Sache, und wenn Sie in 3, 4 Jahren Ihre ausführliche u methodische Darlegung vor das Publicum bringen, so wird man gewiß Folgen davon sehen. Unterdessen verläuft sich auch in etwas diese chemische Sündfluth und ein neues Interesse gewinnt Platz. 

Bötticher höre ich wollte über den Vandalism der Franzosen, bei Gelegenheit der so schlecht transportierten Kunstwerke einen Aufsatz schreiben. Ich wünschte er thäte es und sammelte alle dahin einschlagende Züge von Roheit und Leichtsinnigkeit. Ermuntern Sie ihn doch und verschaffen mir alsdann den Aufsatz für die Horen. 

Cotta mag immer aus derselben Druckerpresse kalt und warm blasen. 

Leben Sie recht wohl. Heute über 8 Tagen hoffe ich Sie hier zu sehen. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 329. Z. 3. Vgl. X.: „Ich lege einen flüchtigen Entwurf zur Geschichte der Farbenlehre bei.“ Zu Z. 23. Eine entsprechende Bemerkung, daß er keinen Mitarbeiter gefunden habe, wird in dem Schema Goethes gestanden haben. In den Briefen wenigstens finde ich keine. Allenfalls könnten Schs. Worte hier auf Goethes Brief vom 13. Jan. bezogen werden.
Zu S. 330. Z. 4. In den Horen erschien von Böttiger nichts.