Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 26. Jan. [Freitag] 98. 

Eben habe ich das Todesurtheil der drei Göttinnen Eunomia, Dice und Irene förmlich unterschrieben. Weihen sie diesen edeln Todten eine fromme christliche Thräne, die Condolenz aber wird verbeten.

Cotta hatte schon voriges Jahr nur eben die Kosten wieder, und wollte sie auch noch dieß Jahr so vegetieren lassen, aber ich sah wirklich keine entfernte Möglichkeit sie zu continuiren, weil es uns ganz und gar an Mitarbeitern fehlt, auf die man sich verlassen kann, und ich, ohne eigentlichen reellen Geldgewinn, ewige Sorge und kleinliche Geschäfte bei dieser Redaction hatte, wovon ich mich durch einen entschlossenen Schritt befreyen mußte. 

Wir werden, wie sichs von selbst versteht, beim Aufhören keinen Eclat machen, und da sich die Erscheinung des 12ten Stücks 1797 ohnehin bis in den März verzögert, so werden sie von selbst selig einschlafen. Sonst hätten wir auch in dieses 12te Stück einen tollen politisch-religiösen Aufsatz können setzen lassen, der ein Verbot der Horen veranlaßt hätte, und wenn Sie mir einen solchen wissen, so ist noch Platz dafür. 

Mit meiner Gesundheit geht es zwar seit gestern wieder beßer, aber die Stimmung zur Arbeit hat sich noch nicht wieder eingefunden. Unterdessen habe ich mir mit Niebuhrs und Volneys Reise nach Syrien u Egypten die Zeit vertrieben, und ich rathe wirklich jedem der bei den jetzigen schlechten politischen Aspecten den Muth verliert, eine solche Lectüre; denn erst so sieht man, welche Wohlthat es bei alledem ist, in Europa gebohren zu seyn. Es ist doch wirklich unbegreiflich, daß die belebende Kraft im Menschen nur in einem so kleinen Theil der Welt wirksam ist, und jene ungeheuren Völkermassen für die menschliche Perfectibilität ganz und gar nicht zählen. Besonders merkwürdig ist es mir, daß es jenen Nationen u überhaupt allen NichtEuropäern auf der Erde nicht sowohl an moralischen als an aesthetischen Anlagen gänzlich fehlt. Der Realism, so wie auch der Idealism zeigt sich bei ihnen, aber beide Anlagen fließen niemals in eine menschlich schöne Form zusammen. Ich hielt es wirklich für absolut unmöglich den Stoff zu einem epischen oder tragischen Gedichte in diesen Völker-Massen zu finden, oder einen solchen dahin zu verlegen. 

Leben Sie wohl für heute. Meine Frau grüßt Sie beßtens. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 332. Z. 24. Das Todesurteil über die Horen wird in einem fehlenden Briefe an Cotta gestanden haben, der freilich auch in K. nicht vermerkt ist. Goethe erwiderte, daß die Nachricht vom Tode ihrer Freundinnen (der Horen) ihm nicht ganz unerwartet gekommen sei.