Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 9. Febr. [Freitag] 98. 

Herr Schloßer hätte beßer gethan, die Wahrheiten, die ihm Kant, und die Impertinenzen, die Frid. Schlegel ihm gesagt, in der Stille einzustecken. Mit seiner seinsollenden Apologie macht er Uebel ärger, und giebt sich die unverzeihlichsten Blößen. Die Schrift hat mich angeeckelt, ich kanns nicht läugnen, sie zeigt einen gegen lautere Ueberzeugung verstockten Sinn, eine incorrigible Gemüthsverhärtung, Blindheit wenigstens, wenn keine vorsetzliche Verblendung. Sie, der den Menschen beßer kennt, erklären Sie sich vielleicht richtiger und natürlicher durch eine unwillkührliche Beschränktheit, was ich, der die Menschen gerne verständiger annimmt als sie sind, mir nur durch eine moralische Unart erklären kann. Deßwegen indignierte mich diese Schrift mehr als sie vielleicht verdienen mag. In einen arroganten Philosophenton finde ich eine recht gemeine Saalbaderey eingekleidet; überall wird an das gemeine niedrige Interesse der menschlichen Natur appelliert, und nirgends finde ich eine Spur von einem eigentlichen Interesse für Wahrheit an sich selbst. 

Es läßt sich im einzelnen über die Schrift nichts sagen, weil der eigentliche Punkt, auf den alles ankam, nehmlich die Argumente des Criticism anzugreifen und die Argumente für diesen neuen Dogmatism zu führen, gar nicht von weitem versucht worden ist. Es ist wirklich kein einziger philosophischer Gedanke da, der einen philosophischen Streit einleiten könnte. Denn was soll man dazu sagen, wenn nach so vielen und gar nicht verlorenen Bemühungen der neuen Philosophen, den Punkt des Streits in die bestimmtesten und eigentlichsten Formeln zu bringen, wenn nun einer mit einer Allegorie anmarschiert kommt, und was man sorgfältig dem reinen Denkvermögen zubereitet hatte, wieder in ein Helldunkel hüllt, wie dieser H. Schloßer bei der Vorlegung der 4 philosophischen Secten thut. 

Es ist wirklich nicht zu verzeihen, daß ein Schriftsteller der auf gewiße Ehre hält, auf einem so reinlichen Felde als das philosophische durch Kant geworden ist, so unphilosophisch und unreinlich sich betragen darf. Sie und wir andern rechtlichen Leute wissen z. B. doch auch, daß der Mensch in seinen höchsten Functionen immer als ein verbundenes Ganzes handelt, und daß überhaupt die Natur überall synthetisch verfährt – Deßwegen aber wird uns doch niemals einfallen, die Unterscheidung und die Analysis, worauf alles Forschen beruht, in der Philosophie zu verkennen, so wenig wird dem Chemiker den Krieg darüber machen, daß er die Synthesen der Natur künstlicherweise aufhebt. Aber diese Herren Schloßer wollen sich auch durch die Metaphysik hindurch riechen und fühlen, sie wollen überal synthetisch erkennen, aber in diesem anscheinenden Reichthum verbirgt sich am Ende die ärmlichste Leerheit und Plattitüde, und diese Affektation solcher Herren, den Menschen immer bei seiner Totalität zu behaupten, das physische zu vergeistigen und das geistige zu vermenschlichen, ist fürchte ich nur eine klägliche Bemühung, ihr armes Selbst in seiner behaglichen Dunkelheit glücklich durchzubringen. 

Wir werden, wenn Sie kommen, über diese Materie noch vieles sprechen, aber der Schrift selbst werden wir dabey nicht viel zu danken haben. Schlosser wird übrigens seine Absicht nicht ganz verfehlen, er wird seine Parthey, die Unphilosophen, bestärken, denn um die Philosophen mag es ihm überhaupt nicht zu thun seyn. 

Leben Sie recht wohl. Das SchmutzWetter ist meinem Fleiße nicht sehr günstig, da es die alten Uebel Catarrh u Schnupfen wieder zurückgebracht hat. 

Meine Frau empfiehlt sich beßtens. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 339. Z. 3. Goethe hatte Schlossers zweites Schreiben „An einen jungen Mann, der die kritische Philosophie studieren wollte, veranlaßt, durch den Aufsatz des Herrn Prof. Kant über den Philosophenfrieden,“ an Sch. gesandt. Er teilte Schs. Mißbilligung der Schrift seines Schwagers, nur daß er ruhiger über sie urteilte, weil sie ihm nur die Äußerung einer Natur war, mit der er sich schon seit dreißig Jahren im Widerspruch befinde.