Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 15. May [Dienstag] 98. 

Am Himmelfahrtstag ist Cotta hier; wenn Sie bis dahin auch hier seyn könnten, wär es recht hübsch. Schreiben Sie mir, wenn Sie nicht selbst kommen, was Sie ihm in Rücksicht auf Ihre Schrift gesagt wünschen. Am beßten wär es, Sie setzten einen Preiß, und er sähe dann, ob er der Mann wäre ihn zu geben. 

Die Ungarische Schriftprobe däucht mir viel zu scharf. Auf diesem Wege könnte man das Publikum bald blind machen.

In den letztern Stücken des Niethamm. Journals werden Sie einen Aufsatz von Forberg über die Deduction der Categorien gefunden haben, den ich Ihnen doch zu lesen empfehle. Er ist sehr gut gedacht und geschrieben. 

Da Sie hoffentlich nächstens hier sind so behalte ich biß dahin eine ganz neue und unerwartete Novität zurück, die Sie sehr nahe angeht und die Ihnen viel Freude machen wird, wie ich hoffe. Vielleicht errathen Sie sie aber. 

Das was Ihnen im Homer mißfällt werden Sie wohl nicht absichtlich nachahmen, aber es wird, wenn es sich in Ihre Arbeit einmischt für die Vollständigkeit der Versetzung in das Homerische Wesen und für die Aechtheit Ihrer Stimmung beweisend seyn. Es ist mir beim Lesen des Sophocles mehrmals eine Art der Spielerey bei den ernsthaftesten Dialogen aufgefallen, die man einem Neueren nicht hingehen ließe. Aber den Alten kleidet sie doch, wenigstens verderbt sie die Stimmung keineswegs und hilft noch einigermaßen, dem Gemüth bei pathetischen Scenen eine gewisse Aisance und Freiheit mitzutheilen. Eine Unart scheint sie mir aber doch zu seyn und also nichts weniger als Nachahmung zu verdienen. 

Ich freue mich auf Meiers Niobe und bin begierig sie mit Ihrer Abhandlung über Laocoon zu vergleichen. Diesen sende ich Ihnen, da Sie ihn neulich verlangten, hier zurück. 

Schlegel hör ich hat Hofnung hier eine Professur zu erhalten? Sein Athenaeum erhielt ich eben, hab’s aber noch nicht ansehen können. 

Freilich hat mir der Edle von Retzer seine Verse auch zurückgelassen, die den ganzen Mann vollends fertig machen. 

Paulus unterbricht mich eben. Leben Sie recht wohl. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 382. Z. 4. Die Novität war Humboldts Buch über Hermann und Dorothea, das Sch. im Manuskript am 12. Mai erhalten hatte. Zu Z. 25. Goethe hatte in X. gefragt, ob der Edle von Retzer Sch. auch sein Gedicht, die Epistel an Gleim vorgezeigt hätte, die dann in Wielands Merkur erschien.