Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Gottfried Körner

Jena, 31. Aug. [Freitag] 98. 

Zur Verbesserung Deiner Aussichten wünsche ich Dir herzlich Glück, wiewohl es mich einige Ueberwindung kostet, von der Hofnung, Dich in Leipzig einmal etablirt zu sehen, Abschied zu nehmen. Ich hatte mir viel von dieser letztern Aussicht versprochen: wir wären uns so viel näher, die Communication soviel leichter, Dein eigener Zustand so viel freier gewesen. Das schönste ja das einzige was der Existenz einen Werth giebt, die wechselseitige Belebung und Bildung hätte dabey gewonnen; nicht Du allein, ihr alle hättet, nach meiner Vorstellung, an ächtem Lebensgehalt gewinnen müssen, wenn Du in ein freieres Verhältniß Dich hättest setzen können, was doch auf einer Universität immer der Fall ist, und wenn wir, Goethe mitgerechnet, einander näher hätten leben können. Denn jetzt wäre eigentlich der Zeitpunkt, wo unser gegenseitiges Verhältniß, das durch seine innere Wahrheit, Reinheit und ununterbrochene Dauer, ein Theil unserer Existenz geworden ist, die schönsten Früchte für uns tragen sollte. Man schleppt sich mit sovielen tauben und hohlen Verhältnissen herum, ergreift in der Begierde nach Mittheilung und im Bedürfniß der Geselligkeit so oft ein leeres, das man froh ist, wieder fallen zu lassen; es giebt so gar erschrecklich wenig wahre Verhältnisse überhaupt, und so wenig gehaltreiche Menschen, dass man einander, wenn man sich glücklicherweise gefunden, desto näher rücken sollte. 

Ich bin in dieser Rücksicht Goethen sehr viel schuldig, und ich weiß, daß ich auf ihn gleichfalls glücklich gewirkt habe. Es sind jetzt 4 Jahr verflossen, daß wir einander näher gekommen sind, und in dieser Zeit hat unser Verhältniß sich immer in Bewegung und im Wachsen erhalten. Diese vier Jahre haben mir selbst eine festere Gestalt gegeben, und mich rascher vorwärts gerückt, als es ohne das hätte geschehen können. Es ist eine Epoche meiner Natur, und sie würde noch reicher und bedeutender geworden seyn, wenn auch wir in dieser Zeit uns näher gelebt hätten. Doch genug davon. Nur mußt Du mir verzeihen, wenn ich ungern von Deiner neuen politischen Ansiedelung in Dresden höre zu einer Zeit, wo ich die philosophische und ästhetische Muße und Freiheit als das schönste Ziel des Lebens betrachten gelernt habe.

Gedichte hoffe ich Dir mit dem nächsten Posttag senden zu können. Ich muß eilen, für den Wallenstein freie Hände zu bekommen; denn ich wünschte euch gar zu gern beim Worte zu fassen, und in 5 oder 6 Wochen mit euch zusammen zu kommen. 

Schreib mir doch, ob Dir Moltke meinen Brief nun gebracht. Es ist zwar nichts daran gelegen, denn es ist nur ein kurzer Empfehlungsbrief, aber ich habe sonst meine Gründe. 

Wir umarmen Euch herzlich. Meine Frau wünschte von Dorchen gar zu gern zu hören, wie sich Fichte und seiner Frau im Carlsbad präsentirt haben1

Hast Du etwa Schelling kennen lernen, der jetzt nach Dresden gereist ist. Seine Schrift über die Weltseele kennst Du wohl schon. Es ist ein treflicher Kopf, auf den ich mich auch freue, denn er ist Professor hier geworden. Lebe wohl. 

Dein 

S.


1 Vgl. Charlotte v. Schiller und ihre Freunde 3, 24.


Bemerkungen

1 Zu S. 424. Z. 18. Körner hatte in X. gemeldet, er werde eine andere Stelle erhalten, nämlich das geheime Referendariat, eine Art Sekretärstelle beim Konferenzminister eines besonderen Departements.
Zu S. 425. Z. 30. Vgl. zu Nr. 1366.
Zu S. 426. Z. 1. Über Fichte u. namentlich seine Frau in Carlsbad berichtete Dora in einem Brief an Schs. Frau vom 24. Okt. 1798. Vgl. Urlichs, Charl. v. Sch. III. S. 24.