Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 30. Nov. [Freitag] 98. 

Ich bin es diese Tage her so gewohnt worden, daß Sie in der Abendstunde kamen, und die Uhr meiner Gedanken aufzogen und stellten, daß es mir ganz ungewohnt thut, nach gethaner Arbeit, mich an mich selbst verwiesen zu sehen. Besonders wünschte ich, daß es uns nicht erst am letzten Tag einfallen wäre, den chromatischen Cursus anzufangen, denn gerade eine solche reine Sachbeschäftigung gewährte mir eine heilsame Abwechßlung und Erhohlung von meiner jetzigen poetischen Arbeit, und ich würde gesucht haben, mir in Ihrer Abwesenheit auf meine eigene Weise darinn fortzuhelfen. So viel bemerkte ich indessen, daß ein HauptMoment in der Methode seyn wird, den rein faktischen so wie den polemischen Theil aufs strengste von dem hypothetischen unterschieden zu halten, daß die Evidenz des Falles und die des Newtonischen Falsums nicht in das Problematische der Erklärung verwickelt werde, und daß es nicht scheine, als wenn jene auch so wie diese einen gewissen Glauben postuliere. Es liegt zwar schon in Ihrer Natur, die Sache und die Vorstellung wohl zu trennen, aber demungeachtet ist es kaum zu vermeiden, daß man eine gangbar gewordene Vorstellungsweise nicht zuweilen den Dingen selbst unterschiebt, und aus einem bloßen Instrument für das Denken eine Realursache zu machen geneigt ist. 

Ihre lange Arbeit mit den Farben und der Ernst, den Sie darauf verwendet, muß mit einem nicht gemeinen Erfolg belohnt werden. Sie müssen, da Sie es können, ein Muster aufstellen, wie man physicalische Forschungen behandeln soll, und das Werk muß durch seine Behandlung eben so belehrend seyn als durch seine Ausbeute für die Wißenschaft. 

Wenn man überlegt, daß das Schicksal dichterischer Werke an das Schicksal der Sprache gebunden ist, die schwerlich auf dem jetzigen Punkte stehen bleibt, so ist ein unsterblicher Nahme in der Wißenschaft etwas sehr wünschenswürdiges. 

Heute endlich habe ich den Wallenstein zum erstenmal in die Welt ausfliegen lassen und an Iffland abgeschickt. Die Costumes werden Sie so gütig seyn, ihm bald schicken zu lassen, weil er sie bald nöthig haben könnte. Ich hab ihn vorläufig davon benachrichtigt. 

Meiern, den ich bestens grüße, bitte um Zurücksendung der quittierten Rechnung. 

Leben Sie recht wohl in Ihren jetzigen Zerstreuungen. Wie wünschte ich, daß Sie mir Ihre Muse, die Sie jetzt gerade nicht brauchen, zu meiner jetzigen Arbeit leihen könnten. 

Die Frau grüßt Sie beßtens. Leben Sie wohl. 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 465. Z. 21. Schs. Brief an Iffland vom 4. Dez. fehlt. Iffland schrieb ebenfalls an ihn am 4. Dez. Urlichs, Brfe. an Sch. Nr. 198. Ebenso die Antwort auf Schs. Brief vom 4. Dez. datiert vom 18. Vgl. Börners Katalog XLII. Nr. 1062.