Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 4. December [Dienstag] 98.

Ich muß Sie heute mit einer astrologischen Frage behelligen, und mir Ihr aesthetischkritisches Bedenken in einer verwickelten Sache ausbitten. 

Durch die größere Ausdehnung der Piccolomini bin ich nun genöthigt, mich über die Wahl des astrologischen Motivs zu entscheiden, wodurch der Abfall Wallensteins eingeleitet werden und ein muthvoller Glaube an das Glück der Unternehmung in ihm erweckt werden soll. Nach dem ersten Entwurf sollte dieß dadurch geschehen, daß die Constellation glücklich befunden wird, und das Speculum astrologicum sollte in dem bewußten Zimmer vor den Augen des Zuschauers gemacht werden. Aber dieß ist ohne dramatisches Interesse, ist trocken, leer und noch dazu wegen der technischen Ausdrücke dunkel für den Zuschauer. Es macht auf die Einbildungskraft keine Wirkung und würde immer nur eine lächerliche Fratze bleiben. Ich habe es daher auf eine andere Art versucht, und gleich auszuführen angefangen, wie Sie es aus der Beilage ersehen. 

Die Scene eröfnete den Vierten Akt der Piccolomini, nach der neuen Eintheilung, und gienge dem Auftritte, worinn Wallenstein Sesins Gefangennehmung erfährt und worauf der große Monolog folgt, unmittelbar vorher, und es wäre die Frage, ob man des astrologischen Zimmers nicht ganz überhoben seyn könnte, da es zu keiner Operation gebraucht wird. 

Ich wünschte nun zu wissen, ob Sie dafür halten, daß mein Zweck, der dahin geht, dem Wallenstein durch das Wunderbare einen augenblicklichen Schwung zu geben, auf dem Weg den ich gewählt habe, wirklich erreicht wird, und ob also die Fratze, die ich gebraucht, einen gewißen tragischen Gehalt hat, und nicht bloß als lächerlich auffällt. Der Fall ist sehr schwer, und man mag es angreifen wie man will, so wird die Mischung des thörigten und abgeschmackten mit dem Ernsthaften und Verständigen immer anstößig bleiben. Auf der andern Seite durfte ich mich von dem Charakter des Astrologischen nicht entfernen, und mußte dem Geist des Zeitalters nahe bleiben, dem das gewählte Motiv sehr entspricht. 

Die Reflexionen, welche Wallenstein darüber anstellt, führe ich vielleicht noch weiter aus, und wenn nur der Fall selbst dem tragischen nicht widersprechend und mit dem Ernst unvereinbar ist, so hoffe ich ihn durch jene Reflexionen schon zu erheben. 

Haben Sie nun die Güte und sagen mir darüber Ihre Meinung. 

Das jetzige fatale Wetter setzt mir sehr zu, und ich habe durch Krämpfe und Schlaflosigkeiten wieder einige Tage für meine Arbeit verloren. 

Meine Frau empfiehlt sich aufs Beste, und für den Braten danken wir Ihnen gar schön. Er ist sehr willkommen gewesen.

Leben Sie recht wohl. Ich wünsche zu hören, daß Sie in Ihren Schematibus etwas vorrücken mögen. 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 466. Z. 19. Die Beilage ist erhalten u. in Hoffmeisters Nachlese mitgeteilt (Düntzer).