Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena den 31. Dec. [Montag] 98.

Der Herzogin Rolle hab ich Ihnen gestern durch Wolzogen geschickt, Hier erhalten Sie die Piccolomini ganz, aber wie Sie sehen ganz erschrecklich gestrichen. Ich dachte schon genug davon weggeschnitten zu haben, als ich aber vorgestern zum erstenmal das Ganze hinter einander vorlas, nach der bereits verkürzten Edition, und mit dem dritten Akt schon die dritte Stunde zu Ende gieng, so erschrak ich so, daß ich mich gestern nochmals hinsetzte, und noch etwa 400 Jamben aus dem Ganzen herauswarf. Sehr lang wird es auch jetzt noch spielen, aber doch nicht über die vierte Stunde, und wenn man Schlag halb Sechs anfängt, so kommt das Publicum noch vor 10 Uhr nach Hause. 

Haben Sie die Güte den zweiten Akt den ich Ihnen doppelt schicke in beiden Gestalten zu lesen. Er enthält die neuen Scenen der Thecla, und es würde Sie stören, wenn Sie bei diesen Scenen, die Sie zum erstenmal lesen, auch nur durch das Auge an die Verstümmelung erinnert würden und den Text auf dem Papiere mühsam zusammensuchen müßten. 

An Ifland sende ich mit heutiger Post diese neuesten Verkürzungen nach, denn die große Länge des Stücks wird ihn nicht wenig in Verlegenheit setzen. 

Die bedeutende Aeußerung Wallensteins über Buttlern (IV. Aufzug, 3. Scene), die hier weggestrichen, findet im dritten Stück einen schicklichern Platz. 

Bei der Rollenbesetzung habe ich darauf gerechnet, daß die Thecla durch die Jagemann gespielt wird, und ihr etwas zu singen gegeben. So bliebe freilich die Gräfin der Slanzowsky, es wäre denn, daß Sie die neu erwartete Mutter dazu passender fänden; denn an der Gräfin liegt freilich viel, und sie hat, wie Sie sehen werden, auch in den neuen Scenen des IIten Akts bedeutende Dinge zu sagen. Da man sie noch älter annehmen darf als selbst die Herzogin (indem sie den König von Böhmen vor sechzehn Jahren hat machen helfen), so kann sich die andere nicht beklagen. 

Beim Wrangel habe ich auf Hunnius gerechnet.

Und so lege ich denn das Stück in Ihre Hände. Ich habe jetzt schlechterdings kein Urtheil mehr darüber, ja manchmal möchte ich an der theatralischen Tauglichkeit ganz verzweifeln. Möchte es eine solche Wirkung auf Sie thun, daß Sie mir Muth und Hofnung geben können, denn Die brauche ich. 

Leben Sie recht wohl. Der Bote wird um 3 Uhr expediert. 

Sch.


Bemerkungen

1 Zu S. 482. Z. 20. Siehe Nr. 1423. Zu Z. 26. Die Rollenbesetzung ist zu ersehen aus Goethes u. Schillers Aufsatz für die Allgem. Zeitung (1799, 25.-31. März). Die Thekla spielte die Jagemann, die Gräfin Madame Teller, Graff den Wallenstein, Vohs den Max, Becker den Questenberg, Malkolmi den Buttler, Leißring den Terzky, Kordemann den Illo, Dem. Malkolmi die Herzogin, Weyrauch den Kellermeister, Beck den Seni, Genast den Isolani, Hunnius den Wrangel, Haide den Tiefenbach und Schall, der Regisseur des Ganzen, den Octavio.