Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Friedrich Schiller an Wolfgang von Goethe

Jena 29. Mai [Mittwoch] 1799. 

Ich habe in den zwei Tagen daß Sie von uns sind in meinem angefangenen Geschäft emsig fortgefahren und hoffe, daß ein beständigeres Wetter auch meinen Bemühungen förderlich seyn wird. Indem ich mir von unserm lezten Zusammenseyn Rechenschaft gebe, finde ich daß wir uns, ohne produktiv zu seyn, wieder nützlich beschäftigt haben; die Idee besonders von dem nothwendigen Auseinanderhalten der Natur und Kunst wird mir immer bedeutender und fruchtbarer so oft wir auf diese Materie zurückkommen und ich rathe, bei dem Aufsatz über den Dilettantism auch recht breit darüber heraus zu gehen. 

Das Schema über diesen Aufsatz erwarte ich nun bald, abgeschrieben und mit neuen Bemerkungen bereichert, zurück, und hoffe daß Ihnen die Nähe von Aurora und Hesperus recht viel Licht dazu geben möge. 

Ich bin gestern zufällig über ein Leben des Christian Thomasius gerathen, das mich sehr unterhalten hat. Es zeigt das interessante Loswinden eines Mannes von Geist und Kraft aus der Pedanterey des Zeitalters; und obgleich die Art wie er es angreift, selbst noch pedantisch genug ist, so ist er doch, seinen Zeitgenossen gegenüber, ein philosophischer ja ein schöner Geist zu nennen. Er erwählte dasselbe Mittel, das auch Sie für das kräftigste halten, die Gegner durch immer fort und schnell wiederhohlte Streiche zu beunruhigen, und schrieb das erste Journal unter dem Titel: Monatliche Gespräche, worinn er auf satyrische Art und mit einem satyrischen Kupferstich vor jedem Stücke seinen Gegnern den Theologen und aristotelischen Philosophen tapfer zusezt. Er wagte es, academische Schriften zuerst auch in deutscher Sprache zu schreiben; eine davon über das Feine Betragen und das, was der Deutsche von den Franzosen nachahmen solle, wäre ich neugierig zu lesen und werde mich hier darnach umthun.

Haben Sie vielleicht etwas von der Fr. Imhof und ihrem Werke in Erfahrung gebracht, und wollen Sie ihr das, wovon Sie neulich sagten, insinuieren? 

Meine Frau grüßt Sie herzlich. Wir vermissen Sie sehr, und ich kann mich kaum mehr daran gewöhnen, die Abende ohne Gespräch zuzubringen. Meyern viele Grüße. 

Leben Sie recht wohl. 

S.


Bemerkungen

1 Zu S. 33. Z. 3. Goethe war am 27. Mai nach Weimar zurückgereist. Er hatte seit dem 1. Mai in Jena geweilt. Zu Z. 4. Das angefangene Geschäft war der Plan zur Maria Stuart. Zu Z. 11. Goethe plante einen Aufsatz über den sogenannten Dilettantismus und hatte darüber mit Schiller mündlich viel verhandelt. Beide stellten ein Schema darüber auf (Goethes Werke, Hempel 28. 163. Gödeke, SS. X. 529). Zur Ausarbeitung des Aufsatzes kam es nicht. Zu Z. 15. Herder hatte am 20. Mai die Zeitschrift Aurora angekündigt, an der auch der damals in Weimar wohnende Jean Paul teilnehmen sollte, der 1795 den Hesperus herausgegeben hatte. Aurora und Hesperus bedeuten also Herder und Jean Paul. Zu Z. 18. Ein Leben des Thomasius brachte der V. Bd. von Schröckhs allgemeiner Biographie. Seine erste deutsche Schrift (1687) führte den Titel: Discours, welcher Gestalt man denen Franzosen im gemeinen Leben und Wandel nachahmen soll. Vgl. Düntzer, Schiller u. Goethe S. 191.
Zu S. 34. Z. 1. Gemeint ist Frl. Imhoff, was Goethe ihr insinuieren wollte, weiß ich nicht sicher. Vermutlich handelte es sich um Aufklärung eines Mißverständnisses. Goethe hatte das Gedicht der Imhoff, um ihr ein reiches Honorar zu verschaffen, an Vieweg verhandeln wollen. Schiller muß vermutet haben, daß dies von der Imhof ausgehe, und dies übel vermerkt haben, weil er es bereits Cotta für den Musenalmanach auf 1800 angeboten hatte. Amalie schrieb ihm am 16. Mai, daß sie ja den Vorschlag positiv abgelehnt habe und ihm selbst erklärt habe, sie ziehe es vor, unter Schillers Schutz zuerst im Publikum mit ihrem Namen zu erscheinen. Vielleicht hatte nun Goethe es übernommen, mündlich ihr zu erklären, wie das Mißverständnis entstanden sei. Vgl. Nr. 1449. Brfw. Sch. an C. S. 336. u. Henriette von Bissing, Das Leben der Dichterin Amalie v. Helvig geb. Freiin von Imhoff S. 31.